Der Trompeter von Sakkingen 10. Stuck
Von dem Feldberg tragt ein wilder
Waldbach schaumend seine Fluten
Zu dem Rhein, – man heibt ihn Wehra.
In dem engen Tal dort steht ein
Einzler Tannbaum zwischen Felsen;
In den Ästen sab der hagre
Bose Waldgeist Meysenhartus.
Der benahm sich heut sehr unfein,
Fletschte seine scharfen Zahne,
Rib sich einen Ast vom Stamme
Und benagte einen Tannzapf,
Kletterte auch mehrmals unwirsch
Auf und nieder wie ein Eichhorn,
Rupfte einer braven Nachteul’
Ein paar Federn aus dem Flugel,
Wiegte schlieblich sich im Wipfel
Und verhohnt’ die alte Tanne:
“Hoher Tannbaum, gruner Tannbaum,
Nummer mocht’ ich mit dir tauschen!
Festgenagelt stehst im Grund du,
Mubt erwarten, wer zu dir kommt,
Kannst dich nicht vom Platze ruhren,
Und wenn je dein Tannenschicksal
Will, dab du zur Ferne wanderst,
Kommen erst die Menschen mit dem
Scharfen Beil und haun und hacken
Tief ins Fleisch dir, bis du umsinkst,
Und sie ziehen unbarmherzig
Dir das braune Rindenfell ab,
Werfen dich dann in den Rhein, und
Bis nach Holland mubt du schwimmen.
Pflanzt man auch in der Fregatte
Stolz dich auf dort und benamst dich
Einen Mastbaum: du bist doch nur
Eine glattgeschundne Tanne,
Der die Wurzeln abgehaun sind,
Und du harmst dich auf dem Meer in
Heimweh, bis der Blitz vom Himmel
Mast und Schiff und Mann und Maus – die
Ganze Wirtschaft in die Luft sprengt.
Hoher Tannbaum – gruner Tannbaum,
Nimmer mocht’ ich mit dir tauschen!”
Sprach die Tanne: “Jeder stehe
An dem Platz, wo er gewachsen,
Und erfulle, was ihm obliegt!
Also halten wir’s im Wald hier,
Und ‘s ist gut so, mind’stens besser,
Als bei Nacht irrlichtelieren,
Mensch und Vieh in Dornen jagen
Und versprengter Wandrer Fluche
Sich als Lohn nach Hause nehmen,
Wie’s dein Geisterhandwerk mitbringt.
Und wer kummert sich um dich noch?
Hochstens sagt der Bauersmann, der
Teufel hol’ den Meysenhartus;
Doch die andern schreiben Bucher
Und beweisen, dab du gar nicht
Existierest, dab das Irrgehn
Nur des Weins und Nebels Folg’ sei.
O, die Geisteraktien stehen
Schlecht itzt, und viel lieber war’ ein
Pflasterstein ich auf der Heerstrab’,
Als ein Geist vom dritten Range,
Als der Waldgeist Meysenhart!”
Sprach der Geist: “Hievon verstehst du
Nicht die Spur, mein edler Tannbaum.
Meysenhart und seine Bruder
Herrschen machtig durch den Erdball,
Überall, so weit die Welt reicht,
Gibt’s Holzwege und gibt’s Menschen,
Die auf diesen Pfaden wandeln –
Und wo immer, frohlich, trauernd
Einer seinen Holzweg schreitet:
Diesen haben wir geliefert!
Lab sie zweifeln an den Geistern,
Bleiben doch in unserm Bann!
Heut auch werd’ ich einen etwas
Seitab fuhren, der soll merken
Dab der Geister viele walten.”
Von dem Berg kam Meister Werner
Der hatt’ seine junge Liebe
Weit in Wald hinausgetragen,
Und soweit der Mensch hienieden
Glucklich sein kann, war er’s: frohe
Hoffnung schwellte ihm den Busen,
Der Gedanken viele zogen
Durch den Kopf, wie wenn sie nachstens
Liebeslieder werden wollten,
Gleich den Rauben, die sich bald zu
Schmetterlingen umgestalten.
Jetzo wollt’ er heimwarts kehren,
Doch der Waldgeist Meysenhartus
Hullt in Staub den rechten Pfad ihm,
Und zerstreuet schritt jung Werner,
Statt zum Rhein hinab, landeinwarts.
Lachend kletterte der Waldgeist
Wieder zu der Tanne Wipfel,
Schaukelte sich in den Ästen.
“Den Mann hat’s!” so sprach er hohnend.
Werner, nicht des Weges achtend,
Ging hinauf ins Tal von Hasel,
Und er kam an eine Bergwand.
Schattig kuhl war dort die Stelle,
Stechpalm’, Schleh’ und Efeu rankten
Schmiegsam um den kahlen Fels sich,
Seitwarts rieselte die Quelle.
Durch die Busche trat jung Werner,
Frischen Trunk sich dort zu schopfen;
Zah verwachsen war das Strauchwerk,
Und er trat mit festem Fub auf,
Da schlug an sein Ohr ein quiekend
Schriller Klaglaut, wie von einem
Maulwurf, der bei unterird’schem
Wuhlen in der Schling’ gefangen,
Jah zum Taglicht aufgeschnellt wird.
Knisternd hob sich’s aus dem Grase;
Vor ihm stand ein graues Mannlein,
Kaum drei Schuh hoch, etwas bucklig,
Aber zart von Antlitz, seine
Klugen Äuglein blitzten seltsam.
Sorgsam lieb er des Gewandes
Enden zu der Erde wallen
Und sprach hinkend: “Herr, Ihr habt mich
Unsanft auf den Fub getreten.”
– Sprach jung Werner: “Das bedau’r ich.”
Sprach das Mannlein: “Und was sucht Ihr
Überhaupt in unserm Tal?”
Sprach jung Werner: “Keinesfalles
Such’ ich die Bekanntschaft solcher
Ganz zweckwidrig kleiner Mannlein,
Die wie Heuschrecken im Grase
Hupfen und so unnutz fragen.”
Sprach das Mannlein: “O so sprecht ihr
All’, ihr plumpe, rohe Menschen!
Tappt mit euren groben Fuben,
Dab der Boden drunter zittert,
Und ihr haftet doch nur auf der
Oberflache gleich den Kafern,
Die in Baumesrinde nisten!
Glaubt, ihr seid die Herrn der Erde,
Und wollt nichts von denen wissen,
Die in Hohen, die in Tiefen
Still, gerauschlos, machtig walten!
O ihr plumpe, rohe Menschen!
Ihr verschliebt euch hinter Mauern
Und erzieht in eurer Schadel
Treibhaus muhsam ein’ge Pflanzlein,
Nennt sie Kunst und Wissenschaft – und
Seid noch stolz auf dieses Unkraut.
Traun, bei Bergkristall und Kalkspat!
Vieles mubt ihr noch erlernen,
Bis das rechte Licht euch aufgeht!”
Sprach jung Werner: “Gluck fur Euch, dab
Friede heut mir im Gemut wohnt;
Hatt’ sonst gute Lust, zum Dank fur
Diese Kapuzinerpredigt
Euch am langen grauen Bart dort
An den Stechpalmstrauch zu knupfen!
Doch mein Herz ist heut durchwarmt vom
Sonnenschein der Liebe, davon
Ihr samt Bergkristall und Kalkspat
Keine Ahnung habt; ich mochte
Jeden heut umarmen, jedem
Eine Guttat gern erzeigen;
Sprecht drum, wer Ihr seid und ob ich
Einen Dienst Euch mag erweisen.”
Sprach der Graue: “Dieses klingt schon
Artiger, – ich steh’ dir Rede.
Erdmannlein sind wir geheiben,
Hausen tief in Kluft und Spalten,
Hausen tief im Hohlengrund.
Huten Gold – und Silberschatze,
Schleifen blank die Steinkristalle,
Tragen Kohlen zu dem alten
Feuer in der Erde Mitten,
Und wir heizen gut, ihr waret
Sonder uns schon all’ erfroren –
Kannst den Rauch aus unsern Öfen
Am Vesuv und Ätna schaun.
Sorgen auch im stillen fur euch
Undankbare Menschenkinder,
Singen euren Flussen in der
Bergkluft schone Wiegenlieder,
Dab sie euch kein Leides antun,
Stutzen morschgewordne Felsen,
Fesseln boses Eis der Gletscher,
Kochen euch das scharfe Steinsalz,
Mischen heilerprobte Stoffe
In die Quellen, die ihr trinket:
Ewig webt und unermeblich
Sich der grauen Mannlein Tagwerk
In der Erdenwerkstatt fort.
Fruher haben uns die Menschen
Noch gekannt, und weise Frauen,
Alte Priester kamen zu uns
In die Tiefen, und sie lauschten
Unsrer Arbeit, und sie sprachen:
›In den Hohlen wohnt die Gottheit.‹
Ihr itzt seid uns fremd geworden,
Aber gern erschlieben wir euch
Einen Blick ins Unterird’sche,
Und wir lieben insbesondre
Die verfahrnen deutschen Schuler,
Denn sie haben gute Herzen,
Und sie sehen mehr als andre.
Ihr auch scheint ein solcher, folgt mir!
Hier im Tal ist meine Hohle,
So Ihr Euch etwas zu bucken
Wibt, so schaff’ ich Euch den Eingang.”
Sprach jung Werner: “Meinethalben!”
– Drauf bedachtig schob das Mannlein
Einen Strauch zuruck vom Felsen,
Und ein niedrer Gang ward sichtbar.
“Fur das Menschenaug’ ist Licht hier
Notig!” sprach der Erdmann, rieb zwei
Kiesel und entzundet’ an den
Funken einen breiten Kienspan,
Schritt voraus dann mit der Leuchte.
Werner folgte, sorgsam mubt’ er
Oft sich bucken, oft schier kriechen,
Denn der Fels hing tief herab.
Aber bald erschlob ein weiter
Hohlenraum am End’ des Gangs sich,
Riesenhoch die Felsenwolbung:
Schlank gewundne Saulen senkten
Von der Decke sich zum Boden,
An den Wanden rankt in buntem
Formenspiel des grauen Tropfsteins
Geisterhaftes Steingeweb’,
Bald wie Tranen, die der Fels weint,
Bald wie reichverschlungne Zierat
Riesiger Korallenaste.
Blaulich fahler unterird’scher
Farbenschimmer fullt’ die Raume,
Grell dazwischen auf der Steine
Kanten glanzt’ das Kienspanlicht,
Aus der Tiefe klang ein Rauschen
Wie von fernem Bergstrom auf.
Staunend sah die Pracht jung Werner;
Glaubt’, er traum’ von einem hohen
Fremden Tempel, und es wurde
Schier andachtig ihm zumute.
Sprach sein Fuhrer: “Nun, mein junger
Freund, was denkt Ihr von des grauen
Mannleins still verborgner Klause?
Dies ist nur mein Werktagshauslein,
Manch ein schonres steht im Norden,
Steht auch in der Alpen Kluften,
Und das schonste steht in Welschland,
An dem Felsenriff von Capri,
Fern im Mittelland’schen Meer.
Über blauen Seegrund spannt sich
Dort des Tropfsteins hohe Wolbung,
Aus den Wellen blitzt und spruht ein
Blaues Feuer durch das Dunkel,
Schutzend deckt die Flut den Eingang.
Die italischen Erdmannlein
Baden scherzend dort sich mit des
Meeresalten Nereus Tochtern,
Und der Seemann scheut die Grotte.
Spater einsmals darf vielleicht ein
Deutsches Sonntagskind hineinschaun,
So wie du, ein fahrend Spielmann
Oder ein leichtfert’ger Maler.
Doch itzt komm, wir mussen weiter!”
Mit der Leuchte schritt er vorwarts
In die Tiefe, Werner schaute,
Wild chaotisch durcheinander,
Felsentrummer unten starren,
Über sie entsturzte schaumend
Abgrundwarts der Hohlenflub.
Über hohe Blocke kletternd,
Traten sie in einen Schacht ein.
Heimisch war’s dort; im Geviertraum
Bauten sich die Felsenwande
Wie zu einer Siedelei.
Schlanke Saulen standen ringsum,
Von der Decke niedertraufelnd,
Langsam – durch Jahrtausende in
Stetem Wachstum – hatt’ der Tropfstein
Sie gebildet, – andre wahren
Unvollendet noch im Werden.
An die Saulen pocht das Mannlein,
Und sie tonten tief in fremdem
Rhythmischem Zusammenklang.
“Sind gestimmet nach der groben
Harmonie der Spharen,” sprach er.
In der Klause lag ein Felsblock,
Glatt und rundlich, einem Tisch gleich.
Daran – starr und ernst und schweigend
Sab ein Mann, – als ob er schliefe,
Lehnt’ sein Haupt er auf die Rechte,
Steinern war das stolze Antlitz,
Und des Lebens Flamme zuckte
Nicht mehr drauf; dem truben Auge
War wohl manche Tran’ entstromet,
Stein geworden haftet jetzo
Sie am Bart und am Gewand.
Schauernd sah den Mann jung Werner,
Schauernd frug er: “Ist’s ein Steinbild?
Ist’s ein Mensch von Fleisch und Blut?”
Sprach sein Fuhrer: “Dieser ist der
Stille Mann, mein braver Gastfreund,
Den ich lange schon beherberg’.
War ein stolzes Menschenkind einst.
Fand ihn drauben in dem Tale,
Und ich wollt’ den Weg ihm zeigen
Nach dem Dorfe zu den Menschen.
Doch er schuttelte das Haupt und
Hohnisch schier klang mir sein Lachen.
Seltsam grobe Worte sprach er,
Bald wie fromm andachtig Beten,
Wie ein Psalm, so wie wir selbst ihn
In der Erde Schobe singen,
Bald als wie ein Fluch zum Himmel.
Viel auch konnt ich nicht verstehn,
Doch es klang mir wie Erinn’rung
An uralte Schopfungszeiten,
Als die grimmigen Titanen
Berg und Fels zu unsern Haupten
Aus dem Boden rissen und wir
Scheu hinab zur Tiefe flohn.
Mitleid hatt’ ich mit dem Manne,
Und ich fuhrt’ ihn in die Hohle;
‘s hat ihm gut bei mir gefallen,
Und er freut’ sich, als ich ihm der
Erdmannlein Hantierung zeigte.
Fand sich bald zurecht in unserm
Hohlenbrauche; oft gemeinsam
Lauschten wir des Tropfsteins Wachsen,
Plauderten auch manchen Abend
Von den Dingen in der Tiefe.
Nur wenn auf die Menschen ich die
Rede lenkte, ward er zornig,
Blickte finster und zerschlug mir
Einmal sieben Tropfsteinsaulen.
Auch wenn Sonn und blauen Himmel
Ich ihm loben wollte, sprach er:
“Lab die Sonne, lab den Himmel!
In der Sonne Strahlen drauben
Kriechen Schlangen, Schlangen stechen,
Lieben Menschen, Menschen hassen,
Und am Himmel, in den Sternen
Stehen Fragen, Fragen wollen
Antwort haben, und wer gibt sie?”
Also blieb er in der Hohle,
Und der Schmerz, der erst durchsturmt’ ihn,
Loste sich in milde Wehmut.
Oftmals sah ich leis ihn weinen,
Oft, wenn ein melodisch Wehen
Durch der Saulen hohen Schaft zog,
Sab er dort, sang schone Lieder.
Doch allmahlich ward er stummer;
Fragt’ ich, was ihm fehl’, so reicht’ er
Lachelnd mir die Hand und sprach:
“Erdmann, schone Lieder weib ich,
Doch das schonste hab’ ich noch nicht
Dir verraten, das heibt Schweigen.
Schweigen – Schweigen: o furtrefflich
Lernt es sich in deiner Hohle,
Tiefe schafft Bescheidenheit.
Aber kalt wird’s, kalt hier unten,
Erdmann! und mein mudes Herz friert.
Erdmann, wibt Ihr auch, was Lieb’ ist?
Wenn du einstmals nach Demanten
Grabst und find’st sie – nimm sie mit dir,
Pfleg sie gut in deiner Hohle.
Wirst dann nimmer frieren, Erdmann.”
Also klang sein letztes Wort mir.
Schweigend sitzt er nun seit Jahren
Dort am Fels, – ist nicht gestorben,
Lebt auch nicht, es wandelt langsam
Sich der stille Mann in Stein um.
Und ich pfleg’ ihn; tiefes Mitleid
Hab’ ich um den stillen Gastfreund,
Lab ihm oft den Klang der hohlen
Saulen seine Still’ erheitern.
Und ich weib, er hort es gern.
Ohne Euch zu nah zu treten,
Glaub’ ich, Ihr auch seid ein Spielmann;
Mogt als Dienst drum, den Ihr botet,
Meinem stillen Mann eines spielen.”
Sprach’s; – wehmutig griff jung Werner
Zur Trompete, und wehmutig
Klang sein Blasen durch die Hohle,
Wie durchhaucht von tiefem Mitleid.
Dann gedacht’ er seiner eignen
Lieb’ – wie ferner Jubel zogen
Heitre Klange durch die Wehmut,
Zogen naher, – frischer, voller.
Wie ein Auferstehungslied am
Ostermorgen hallt’s zum Schlusse,
Und der stille Mann am Felsblock
Nickte grubend mit dem Haupt. –
Lebe wohl und traum in Frieden,
Stiller Mann in stiller Klause,
Bis die Fulle der Erkenntnis
Und die Lieb’ den Steinbann sprengt.
Durch die Hohle ruckwarts gingen
Werner und sein grauer Fuhrer.
Eingetreten in die Halle
Hob der Erdmann einen Felsblock.
Drunten war ein Schrein, es lagen
Edelsteine gleibend drinnen,
Schriften auch und Pergamente;
Einen blassen Amethystos
Und ein paar vergilbte Blatter
Nahm der Erdmann draus und reicht’ sie
Wernern: “Dies zum Angedenken
Wird dir’s einst zu bunt da droben,
Weibt du, wo du Obdach findest.
Doch, wenn bose Menschen sagen,
Erdmann truge einen Gansfub,
Dann, bei Bergkristall und Kalkspat,
Sag, das sei infam gelogen!
Zwar ein ganz klein wenig platt ist
Erdmanns Sohl’, doch nur ein grober
Bauer kann von Gansfub sprechen.
Jetzt ade! dort ist der Ausgang!
Nimm den Kienspan, leucht dir selber,
Ich hab’ anderweit zu tun!”
Sprach’s und kroch in einen Felsspalt.
Sinnend durch der Hohle Nied’rung
Ging jung Werner: dreimal schlug er
Seinen Kopf hart an die Felswand,
Eh’ das Tageslicht erreicht war.
Friedlich klang die Abendglocke
Durch das Waldtal ihm zum Heimweg.