Die vortrefflichkeit der kusse
1.
Nectar und zucker und safftiger zimmet /
Perlen-thau / honig und Jupiters safft /
Balsam / der uber der kohlen-glut glimmet /
Aller gewachse versammlete krafft /
Schmecket / zu rechnen / mehr bitter / als susse /
Gegen dem nectar der zuckernen kusse.
2.
Hyble wird gerne der blumichten bruste /
Rosen / narcissen und liljen verschmahn /
Wird er die freuden-geschwagerte luste
Zweyer sich kussender seelen ansehn.
Da sich stets honig einsammlende bienen
Finden um ihre gekubte rubinen.
3.
Marmel und kisel und eiserne wercke /
Diamant und unzerbruchlicher stein /
Stahlerne / noch alabasterne starcke /
Schliessen so feste / wie kusse / nichts ein.
Kusse verknupffen mit nahrenden flammen
Zwischen zwey lippen zwey herzen zusammen.
4.
Schatzt ihr nicht kussende kusse fur winde /
Welche nicht uber den lippen-pfad gehn?
Meynet ihr / munde bekussen nur munde?
Nimmermehr wirds euch die liebe gestehn.
Wisset / ihr eib-kaltgesinnete / wisset /
Hier wird die kussende seele gekusset.
5.
Kusse bewurzeln sich schwerlich so feuchte;
Meynen die lippen / dab kussen nur rauch?
Lippen und mund zwar empfinden das feuchte /
Den mit der warme verschwisterten hauch.
Aber die seele bekommet das beste /
Von dem mit liebe beseeleten weste.
6.
Kusse sind schweigende reden der lippen /
Seuffzer der seelen und strahlen der gunst;
Welche von ihren corallenen klippen
Samen ins herze die quelle der brunst;
Derer gebraucht sich der wutende schutze /
Dab er mit ihnen gemuther zerritze.
7.
O der unendlich-erquickenden schmerzen /
Wenn man die kusse mit seuffzern vermengt!
Bald die lieb-augelnden sternen und kerzen
Auff die gekussten rosen versenckt /
Wenn sich gemuthe / gedancken und leben
Haben auff auserste lippen begeben.
8.
Lachet ihr lippen / ihr pfortner des lachens /
Schopffer der worte / du perlerner mund /
Schieb-platz der liebe / des feurigen drachens /
Kocher der pfeile / durch die man wird wund.
Hole / wo Cypripor wangen errothet /
Herzen uns stiehlet / und seelen uns todtet.
9.
Lippen / die scharlach und rosen bedecken /
Welche der marmel der wangen umflicht /
Ruhret von purpurnem schaume der schnecken
Euere gottliche liebligkeit nicht?
Nein / nein / ihr habt euch in thranen und aschen /
Und in dem blute der buhler gewaschen.
10.
Erstlich zwar wolten die milchernen wangen
Geben an farbe dem munde nicht nach;
Aber seit purpur die milch hat umfangen /
Und das vor lauter – und schneerne dach
Ward von halbfarbichter rothe besamet /
Stehet die prahlende hoffart beschamet.
11.
Wo denn die blutige warme der glieder
Selber der wagen der seelen soll seyn /
Auch sie sich nirgend nicht schoner last nieder /
Als in der lippen beblumeten schein /
Kan man die seele gewisser nicht finden /
Als auff mit blute beseeleten munden.
12.
Prufet man ferner der lippen ihr kosen /
Mub man gezwungen bekennen / man schau
Saugende bienen / und saugende rosen /
Winckende nelcken / und tranckenden thau;
Die wohl mit thaue die lippen bekussen /
Aber nach anderen dursten auch mussen.
13.
Zwar in der augen gestirntem geruste
Wird die uns martende liebe gezeugt.
In den bemilcheten liljen der bruste
Wird sie mit feuer und flammen gesaugt /
Bib sie mit reiffender saate wird gelbe /
Zwischen der schoob alabaster-gewolbe.
14.
Aber man kan sie mit keinerley kosen /
Als mit gepfropfeten fruchten erziehn /
Auff den mit seelen geschwangerten rosen /
Wo das begeisterte kussen wird grun /
Soll mit der zeit mit feuer und blitzen /
Konnen metallene herzen zuritzen.
15.
Denn wie wird konnen die seele der seelen /
Die uns entseelende liebe bestehn?
Wird auff der lippen rubinen holen
Ihr nicht die saugende nahrung auffgehn?
Denn auff den lippen entstehen und stertzen /
Leben und sterben / die seelen und herzen.
16.
Hier find die seele den tod und das leben /
Auffgang und untergang / wiegen und grab.
Hier wird die glut ihr zur speise gegeben /
Und was sie nehret / das zehret sie ab.
Gleichwie der Phonix von neuem auch lebet /
Wenn er sich zwischen die flammen begrabet.
17.
Kusset demnach / ihr gekusseten / kusset /
Kusse mit kussen verwechseln steht fein.
Glaubet / ihr geber und nehmer / man busset
Nicht an der kussenden waare hier ein.
Wurde sich wer / als bevortheilt / beschweren /
Der wird dem nehmer sie doppelt gewahren.
18.
Seelen / die ihr von zwey augen entzundet /
Lustige marter und martende lust /
Ja ein unsterbliches sterben empfindet
In der entseelt und beseeleten brust /
Hier hilfft ein kub / ein erqvick-safft den herben /
Sterben dem leben / und leben dem sterben.
19.
Hier sind die kusse das flammende kuhlen /
Ja die verwundete salbe der pest /
Welche das herze beseelig’t / das fuhlen
Mit uberzuckertem sausseln anblast.
Kussen ist hier / das den todten das leben /
Dab er nur offter ersterbe / kan geben.
20.
Ist / Roselinde / nun auch dein beginnen /
Meine vergnugung / dein kummer / mein schmerz?
Haben wir einerley willen und sinnen?
Haben wir zwischen zwey brusten ein herz?
Fasset mein herze dein herze / du meines?
Ach! ach! wie seynd nicht die lippen auch eines?
21.
Ach meiner augen augapffel und sonne /
Ach meiner seelen beseelender geist!
Qvellbrunn der freuden / und wurzel der wonne /
Die mein verhangnib mich peinigen heist;
Lab dein rubin-glab der lippen hersincken /
Dab ich daraus mir mein sterben kan trincken.
22.
Blicket / ihr sternen / in himmel der liebe /
Blicket ihr spiegel der augen mich an.
Lebende sonnen durchstrahlet das trube /
Das euer abseyn erregen mir kan.
Will ich doch willig im blutenden herzen /
Euere blitzende pfeile verschmerzen.
23.
Reiche den perlenen purpur im munde /
Zwischen vergeisterten seuffzer mir dar.
Kussen verwundet und heilet die wunde /
Welche von kussen geritzet erst war.
Aber / wenn wird man die wunde gelosen?
Kussen sticht arger / als dorner an rosen.
24.
Ja / wenn die lippen auff lippen sich legen /
Wenn kub und kub mit ergetzligkeit scherzt /
Fuhlet die seele so feuriges regen /
Dab sie fast ausser sich selber wegsterzt.
Wenn sie der seuffzer geflugelter wagen
Hat auff die kussende lippen getragen.
25.
Fuhlen die glieder denn solche geschaffte /
Welche die seelen den seelen entziehn /
Bald die erganzen die mangelnden kraffte:
Fanget das marck an in adern zu gluh’n /
Und des geblutes erregete flammen
Lauffen bib zwischen die lippen zusammen.
26.
Die uberrotheten wangen erwarmen /
Schwimmend in rosen und schwanger mit lust /
Und die verwechselten armen umarmen
Achsel / und neben dem halse die brust;
Eben wie dorner die winden / die reben
Ulmen / und eppich die eichen umgeben.
27.
Cypripor aber / mehr schmerzen zu schmieden /
Spielet indessen ins herze sich ein /
Zundet ein feuer an / thranen zu sieden /
Seuffzer zu kochen / das ole der pein /
Welches der seelen halbglimmende kerze
Nur noch erfrischt mit erquickendem schmerze.
28.
Unterdeb geht auff den kussenden munden
Eine gewunschte wechselung fur.
Liljenlieb giebet sein herz Roselinden /
Und er empfanget die seele von ihr /
Endlich mibgonnens den lippen die augen /
Durstig das honig der lippen zu saugen.
29.
Zwischen dergleichen beliebenden nothen
Macht sich die sterbende seele gesund /
Und die getodteten herzen ertodten /
Und das verwundete machet uns wund /
Und das verletzete leben verletzet /
Und das ergetzete sterben ergetzet.
30.
Nun o gib / dab die begeisterten lippen
Ich / Roselinde / von deinen nicht zieh.
Lasse der marmel-brust milcherne klippen
Locken vom munde kein kussen auff sie.
Todte die mibgunst der blumichten wangen /
Welche so sehnlich nach kussen verlangen.
31.
Labt es euch doch nicht gelusten ihr hande;
Kussen geht eure gelencke nicht an.
Denn wie nicht werth ist der liebenden bande
Dib / was hinwieder uns lieben nicht kan:
Also soll / was uns nicht wieder kan kussen /
Auch nicht das seelige kussen geniessen.
32.
Ja das uhralteste liebes-gesetze
Wiedmet den lippen das kussen / und will /
Dab sich die hand auff den brusten ergetze /
Setzet die augen den wangen zum ziel.
Uber den lippen befiehlt es zu leben /
Aber die schoob ist zum sarge gegeben.
33.
Hutt euch indessen ihr munde fur worten /
Fuhlet der reden lieb-kosenden west.
Schleub / Roselinde / die redenden pforten /
Dab ihr nicht etwa des kussens vergest.
Durch die mit worten verstorete herzen
Fuhlen die seelen unleidliche schmerzen.
34.
Todte der zungen gewachsiges schwatzen /
Welche die lippen im kussen verstohrt.
Aber dafern sie soll krafftig ergetzen /
Und nicht hinfuro zu wachsen auffhort;
Glaub’ ich / dab mich eine natter will schrecken /
Welche die rosen der lippen verdecken.
35.
Hast du denn zunge so sehnlich verlangen
Einige worte der liebe zu fuhl’n?
Schaue wie freundlich die zungelnde schlangen
Mit dem so schlupffrichten zungen-gifft spiel’n.
Eben so kanst du mit zungelnden kussen /
Zwischen den lippen ihr honig geniessen.
36.
Honig geniessen / ja honig verleihen /
Wie des besilbernden perlen-thaus glab
In den wohlriechenden nachten des mayen
Kranzt und bezuckert das blumichte grab /
Also bezuckert das zungelnde kosen
Kussender lippen benelckete rosen.
37.
Weil nun dergleichen beliebtes besussen /
Lippen und zungen so balsamet ein /
Pflegen die zahne mit linderen bissen
Zungen und lippen behaglich zu seyn;
Hoffende von dem liebreizenden spielen
Lieblichen seegen und regen zu fuhlen.
38.
Will den die liebe mit sussem vergallen /
Zucker den zuckernen kussen verleihn /
Kan sich die schlaue so meisterlich stellen /
Kussen das musse zu wider ihr seyn.
Ja Roselinden halb-sauere blicke
Stossen die kussende lippen zurucke.
39.
Aber allhier sind nur kinder erschrocken /
Denn ein erfahrener buhle weib wohl:
Weigerung sey ein liebreizendes locken /
Dab er noch eifriger kussen sie soll;
Weil die mit liebe bezauberte frauen
Gerne zum kussen gezwungen sich schauen.
40.
Erstlich zwar / ehe das kussende kampffen
Ein unerfahrener Corydon wagt /
Last er ihm offt begierden fast dampffen /
Weil ihm sein eigener kleinmuth absagt.
Dreymahl schlagt sie sein beginnen ihm nieder /
Endlich bereut er sein reuen erst wieder.
41.
Wagt er es auch gleich nach zweiffelnden zagen
Dab er ihr wieder ein kubgen zustellt.
Ach / ach / so ist zu dem furchtsamen wagen
Ein holgebrochenes seuffzen gestellt /
Gleichsam als nisteten zwischen den wangen
Kussender lippen verletzende schlangen.
42.
Schiene sie gleich auch gar zornig zu werden /
Buhler-zorn ist ein beliebender west /
Welcher das feuer der lauen geberden /
Welches schon halb war erloschen / auffblast /
Und die gewaschigen liebes-gezancke
Sind denen vereinigten herzen lust-rancke.
43.
Sencken sich gleich auch die lippen vonsammen /
Ach es ruhrt nicht aus ersattigung her;
Denn die mit schwefel gemehrete flammen
Fallt zu ersattigen schwerlich so schwer /
Als den nach kussend-recht lechzenden willen
Wollen mit ubrigen kussen erfullen.
44.
Nein / nein / mit diesem auffhoren von kussen
Giebt man den lippen allein zu verstehn /
Was mit so weniger lieblichkeit mussen
Ihnen fur krafftige freuden entgehn /
Bib sie mit desto begierigerm herzen
Wieder durch kussende wechselung scherzen.
45.
Offtermahls sind auch die durstigen munde
Von dem entgeisterten kussen so schwach /
Dab sie sich durch die erseuffzete winde /
Durch ein mir thranen befeuchtetes ach
Mussen nach langer bemuhung erquicken /
Ferner zum kussen sich frischer zu schicken.
46.
Denn wie wenn einmahl der himmel die schnecken
Mit dem bebisamten silber-thau tranckt /
Sie ihn zum andernmahl durstiger lecken /
Wenn er noch einmahl auff krauter sich senckt:
Also vermehret von vielem geniessen
Sich die geschopffte begierde zu kussen.
47.
Ja! wenn am besten die lippen bedachten /
Dab noch am meisten ein einiger kub
Durch das mit nectar erfrischte befeuchten /
Sie von dem dursten erledigen mub /
Ach / ach / so sah’n sie sich eher verbrennet /
Eh’ sie den kub fur ein feuer erkennet.
48.
Fuhlten es gleich auch die lodernden herzen /
Kussen sey eine verzehrende glut /
Eine vergifftung / ein oele den schmerzen /
Eine mit flammen ersauffende flut /
Wurden sie doch wohl im kussenden sterben
Wollen verglimmen / ersauffen / verderben.
49.
Denn es gelustet die rachelnden seelen /
Wenn sie die thranenden lippen anschaun /
Zwischen dergleichen zinobernen holen
Ihnen ein lebend begrabnib zu baun /
Meynende / fur dem nicht kussenden leben
Ware der kussende tod zu erheben.
50.
Sehnlicher tod! Roselinde nun todte!
Selige wunde! ach mache mich wund.
Lehre den / mit der verschwisterten rothe /
Und den mit pfeilen gewaffneten mund;
Denn er ist / warlich / ein kocher voll kusse /
Todte / verwunde mich. Beydes ist susse.
51.
Heilsamer kocher / gewunschete pfeile!
Flieget / hie habt ihr mein herze zum ziel /
Krancket es doch / dab die kranckheit es heile /
Treffet / hier trifft / wer gleich treffen nicht will;
Denn der begierde bezauberte schmerzen
Ziehen die kussende pfeile zum herzen.
52.
Wie der magnet sich nach norden hinkehret /
Wie sich die flamme zum flammen-qvell glimmt:
Gleich wie der schwaade der erden zufahret /
Wie das getrancke der durstige nimmt;
Also fuhl ihr herz und lippen auch lechsen
Nach dem ambrosenen lippen-gewachsen.
53.
Weigerst du dich denn im glase des mundes
Mir zu gewahren das kussende gifft?
Heischet doch dib das gesetze des bundes /
Welchen mit uns hat die lippen gestifft;
Thu’s / Roselinde / mein engel / ich sterbe.
Sterben ist lieblich / und leben ist herbe.
54.
Thu’s / Roselinde / mein kind / aus erbarmen /
Mache mein schwindendes herze gesund /
Labe mich matten / beschencke mich armen /
Trancke den fast halb erdursteten mund.
Kusse mich. Weist du? die kusse die haben
Kraffte zu heilen / zu trancken / zu laben.
55.
Kusse mich herze / herze mich / liebste / von herzen /
Treibe das friedsame kampffen fein scharff /
Gonne / dab ich dib erquickende scherzen
Allemahl zehnmahl vergelten dir darff.
Billig verwechselt man susse fur susse /
Zucker fur zucker / und kusse fur kube.
56.
Wirstu dib also bestandig nur treiben /
Werden wir beyde beseeliget seyn /
Du / Roselinde / wirst meine verbleiben /
Wie ich ingleichen auch bleiben mub dein.
Denn die verknupffenden kusse sind kerzen
Liebender seelen / und kochender herzen.