Das Lied der Menschheit
Vorgesang.
Einst war die Welt ein endlos tiefes Meer
Von Finsternissen – todt und stumm und leer.
Kein Hauch, kein Athem, weder Fluth noch Schaum,
Zeit ohne Werden, Schlafen ohne Traum,
Leidlose Ruhe, Kraft, die nichts erfullt,
Ein Grab, das Schatten wesenlos umhullt.
Einst aber wie ein Blitz durchfuhr’s das All,
Das Meer barst auf mit dumpfem Donnerhall
Und tausend Wirbel kreuzten durch die Wogen
Und tausend Feuer zuckten rings und flogen
Und auseinander klufteten die Gluthen
Und schossen spruhend hin gleich Flammenruthen
Und ballten kreisend sich zu Sonnenwelten,
Verschlangen sich und barsten und zerschellten –
Von Nebeln wirr umflattert, dampfumbraust,
Aufbrandend in Gewittern, sturmdurchsaust.
Die Nacht versank, es wich des Todes Bann
Und heiliger Schauer durch die Schopfung rann,
Da lag die Welt, ein Wasser, breit und klar,
Lichtinseln zogen funkelnd, Schaar an Schaar,
In wiegenden Reigen schwebend wie zum Spiel,
Rastlos der Weg, geheimnibvoll das Ziel.
Vom Kranz der Schwestern eine wahlt mein Lied
Und fur die Lieblichste mein Herz entschied.
Noch war ich Knabe, in der Haide Kraut
Lag ich zu lauschen auf des Windes Laut,
Von weiben Schleiern glanzte rings die Luft
Und auf den Grasern traumte herber Duft
Und zwischen Erd’ und Himmel fuhlt’ ichs weben
Des Geistes Wirken und der Schopfung Streben.
Da stromte leuchtend mir ins Herz die Lust,
Der ewigen Schonheit ward ich mir bewubt
Und brunstig drang die Sehnsucht auf mich ein,
Urmutter Erde Dir ein Lied zu weihn,
Ein Lied, das wogend wie der Ocean
All Deine Pracht umspannt, all Deinen Wahn…
Mein Blick ward starr, die Wesen und die Zeiten
Sah ich noch einmal mir vorubergleiten.
Vor meinen Augen brauste Gluth in Gluth,
Von tausend Farben zitterte die Fluth,
In langen Garben spruhte Strahl um Strahl,
Berghohe Feuer wuchsen auf im Thal.
Und in den Weltraum sturzte wie ein Blatt,
Das von dem Baume flattert, sturmesmatt,
Der Mond, aufzischend, wirbelnd, nebelrauchend,
Dem Urgewasser blassen Haupts enttauchend.
Schon aber senkte Nachtgewolk von Dunst
Sich auf der Flammen niegestillte Brunst
Und prasselnd, schaumend, immer neu geboren
Warf sich der Regen in des Gluthmeers Poren,
Aufwallten blutige Nebel aus der Wunde,
Gleich Speer – und Schwertglanz leuchtete die Runde
Und stohnend mischten sich im Kampf die Krafte
Und siedend gahrten zukunftsschwangere Safte,
Bis aus des Wassers morgenkuhlem Schob
Der Keim des Lebens stieg, gestaltengrob.
Nun drangte starr Kristall sich an Kristall
Und donnernd hob sich der Gebirge Wall,
Die Wurzeln von Granit und gluthgeleckt,
Den breiten Rucken hell von Schnee bedeckt.
Nun schmiegte Zelle knospend sich an Zelle,
Von weichen Flocken blinkte jede Welle
Und zarte Haut umspinnt des Meeres Bord
Und rankt sich uber Fels und Klufte fort
Und reckt sich aus zu Fasern, thaugenahrt,
Grabt in den Stein sich, wurzelt, keimt und ahrt…
Schwul brutet Mittagshauch auf Sumpf und Au,
Ein feuchter Dunst verhangt des Himmels Blau
Und gelber Qualm entbrodelt jeder Kluft,
Von unterird’schen Wettern rauscht die Luft,
Umklammert von des Drachens Eisenspangen
Walzt brullend sich der Elch, im Rohr gefangen.
Breitfachernd wuchert rings der Farrenwald,
Vom plumpen Tritt des Mastodonts durchhallt,
Und glotzig ruht der Behemout im Teich,
Eidechsen flattern, schwarzer Wolke gleich.
Dann kommt ein Tag, blab wird der Sonne Glanz,
Schneewogen wirbeln wie im Kriegestanz,
Von Norden drohnt es krachend jede Nacht
Und falbe Nebel schleifen, sturmentfacht.
Erschauernd horcht die Blume, horcht das Reh –
Dumpf walzt es sich heran, eisstarre See,
Einode, grenzenlos, nackt, blank wie Stahl,
Gespenstig Trummerfeld; Berg wird zu Thal
Und Thal zu Berg, die Walder prasseln schwer,
Wie Staub hinweggefegt ist Land und Meer,
Von Erd’ zu Himmel eine Mauer nur,
Verstummt das Leben, sterbend die Natur.
Doch in der Tiefe schnaubt des Feuers Dampf,
Die Sonne rafft sich auf zu grimmem Kampf,
Sie wuhlt und saugt und schmilzt des Eises Glast,
Der Boden wankt und schuttelt seine Last.
Bald rauschen durch die Wuste tausend Quellen,
In Spalt und Abgrund tosen schaumende Wellen
Und aus der Fluth dringt aufwarts neues Land,
Jungfraulich, jugendlich, die Gluth entschwand.
Aufspriebt der Bluthen Schonste, Gottgenahrt,
Zum Menschen wird der Erde Staub verklart,
Verklart zum Willen wird was dunkel ringt –
Zur Sprache wird was stammelnd klingt und singt.
In Fiebern lag ich brennend Tag um Tag,
Von Zweifeln trub umnachtet, angst und zag.
Kein Weg, kein Ziel! Wir ziehn auf ungefahr
Durch Steppenode, heut am Strom einher
Und plaudernd, jubelnd; morgen im Gestein
Versengter Felsen, durstend und allein.
Wir wandern, doch wohin – verkundet keiner,
Wir wandern, doch warum – ergrundet keiner.
Ich lag und sann, der Abend brach herein,
Ins Auge fiel mir hell des Mondes Schein.
Da dehnte bebend sich mein Zimmer aus,
Wie Nebel schwanden Decke, Thur und Haus.
Ich stand an eines Berges steilem Hang,
Dem Abgrund schwelte grau Gewolk entlang
Und plotzlich braust es hell wie Adlerflug,
Ein Sturmwind ruttelt an des Felsens Bug
Und wie ein Schatten steigt es niederwarts,
Den Arm umprebt mir eine Hand von Erz,
Zur Seite ragt mir ein gewaltig Haupt,
Die Augen Blitz, die Stirne gluthumlaubt.
Und durch die Wolken zungeln weibe Feuer,
Zerrbilder tauchen auf und Ungeheuer.
Dann wird es Licht, von Sonnenglanz ein Strom
Tragt meine Blicke durch des Weltalls Dom.
Das Buch der Sterne seh ich aufgethan,
Der Erde Nieren und der Winde Bahn,
Ein gahnend Grab klafft Land und Wasser auf,
Marklose Schadel grinsen bleich herauf.
Voruber zieht der Volksgeschlechter Heer
In bunter Tracht, mit Sichel und mit Wehr;
Hier lagert sich ein Stamm, Zelt neben Zelt,
Des Fuhrers Ruf, des Handlers Stimme gellt,
Dort in die Sumpfe wuhlt sich klammernd ein
Die Euphratstadt, ein Drachenleib von Stein,
Von blauer Meerfluth seidenweich umrollt
Bluht Hellas in der Abendsonne Gold.
Und durch des Eichwalds feuchte Nebelschicht
Schlagt der Germane breiten Weg dem Licht;
Hier einsam geht ein Mann und forscht und sucht,
Dort hangt am Kreuze, den die Welt verflucht.
Und immer wirrer, immer dichter drangen
Die Schaaren sich, mit flammenden Gesangen
Um Zion wogt des Kreuzheers magrer Rest,
Scharfklauig kreist zu Haupten ihm die Pest,
Hier stirbt der Konige stolzer Uebermuth,
Vom Richtbeil ausgemerzt, erstickt in Blut,
Dort siech von Hunger, eisumschauert steht
Franklin, sein Aug’ nur spricht ein letzt Gebet
Und donnernden Fluges dort von Land zu Land
Rollt Zug an Zug, ein stahlern Volkerband,
Hier Hochzeitsjubel, fiebernd Aengsten dort,
Hier klingender Floten Laut, dort Brudermord.
Mein Auge sieht es und es hort mein Ohr,
Der Menschheit ganzes Treiben rauscht empor,
Der Volker Werden gibt ein Blick mir kund,
Doch Schmerz durchwuhlt mich, laut schreit auf mein Mund:
Weh euch und mir, Mensch werden heibt vergehn
Und Volker bluhen, um in Staub zu wehn,
Wir alle sind wie Wasser im Gestein,
Kein Wandrer kommt, die Erde saugt uns ein,
Wir alle sind wie Saat in dornig Land,
Wir alle schaffen, doch uns knupft kein Band!
Kein Band – und wiederhallt es tausendmal
Und wieder braust der Sturmwind hin durchs Thal,
Da steigt vor mir empor Haupt und Gestalt,
Doch nicht von Glut, von Sternenschein umwallt,
Mild wird die Stirn und mild des Auges Glanz,
Beschattet von der Wimpern breitem Kranz,
Der Lippen erzne Klammer schliebt sich auf,
Ein weicher Mantel zieht Gewolk herauf.
Ich aber beide Hande streck’ ich aus
Und zu mir klingts wie rollend Fluthgebraus:
Kleinmuthger Du, Du klagst und ubst Gericht
Und kennst nur Menschen, doch die Menschheit nicht.
Die Menschen sind wie Blumen auf dem Rain,
Ich winde sie dem Kranz der Menschheit ein,
Der Menschen Thun spinnt Faden wirr und kraus,
Ich webe sie zum Bild der Menschheit aus,
Der Menschen Herz freut sich an Schein und Spiel,
Ich halt’ das Steuer auf der Menschheit Ziel.
Ja, ohne mich seid ihr versprengtes Gold,
Ich sammle, schmelze, prage was ihr wollt,
Klein bin ich wenn ihr klein, stark wenn ihr stark,
So mit dem Baume wachst des Baumes Mark.
Ich bin der urgeborne Sohn der Gluth,
Des Lebens Fulle wogt in meinem Blut,
Nicht sterben werd’ ich, bis das letzte Blatt
Vom Baum der Welten sinkt zur Ruhestatt,
Bis in den Hafen fahrt der Ewigkeit
Mit uns den Irrenden das Schiff der Zeit.
Bis dahin Kampfen und kein schmerzlos Heil
Und Sehnsucht, der kein Erbe wird zu Theil,
Bis dahin Liebe, die den Hab gebiert
Und Glaube, der in Zweifel sich verliert,
Bis dahin Tod, der sich mit Leben schminkt
Und Konigsprunk, der in den Koth versinkt
Bis dahin Kraft, die sich die Welt erstreitet,
Bis dahin Geist, der auf zur Gottheit leitet.
Er sprichts und Finsternib ruht nah und fern,
Nur hier und da hell schimmert noch ein Stern,
Ich aber blicke starr zum Himmelsrand,
Wo mir das lowengleiche Haupt entschwand,
Wie einer, der im Geiste Gott erschaut, –
Da hor’ ich einmal noch traumfernen Laut:
Du geh und kunde was Du heut gesehn,
Wenn Du es kundest, wirst Du es verstehn,
Und fragst Du was ich bin und fragst Du wer,
Der Menschheit Seele bin ich, Ahasver.
Das Lied der Menschheit – ja, es sei gewagt,
Wie schwach ich bin, wie klein auch, wie verzagt.
Wo ist ein Stoff wie dieser, wo ein Held
So ruhmeswerth, wo solch ein Erntefeld?
Nicht Gotter sing’ ich, nicht zum Fabelland
Traum’ neuen Weg ich, nicht zum Hollenrand,
Euch, meiner Mutter Kinder, eure Spur
Such’ ich im weiten Bergland der Natur,
Euch such’ ich in der Urwelt Einsamkeit,
Euch durch den Flammenbrodem dieser Zeit
Und eurer Seele lausch’ ich, wie sie reift,
Wie hoch und hoher ihre Sehnsucht schweift.
Ein Seher ist euch Noth, ein Sonnenaar,
Der Botschaft bringt, dab eure Sehnsucht wahr,
Dab ihr ein Ganzes seid, Samen eines Weibes,
Korper eines Blutes, Glieder eines Leibes,
Dab wie aus Welten Gott erwachst, so ihr
Der Menschheit Nahrung seid, und lebt in ihr.
Doch ach bin ich’s, bin ich’s, der zu den Sternen
Das Auge heben darf, den Sonnenfernen!
Zu Dir Altvater, dessen Wort so klar
Wie Meeresfluth, wenn sie den Tag gebar,
Zu Dir, Du strahlend Licht von Tus, Du Kunder
Des Erdenschicksals und Du Herzergrunder,
Zu Dir, Du frommer Schwan von Mantua,
Zu Dir, Du Adler, der ins Antlitz sah
Der Ewigkeit, gerichtet und doch Richter,
Zu Dir, der blind noch Held, Du Stolzvernichter,
Zu Dir Walddrossel, deren Stimme voll
Und tief und sub wie Volkers Lied einst scholl,
Zu Euch, ihr heiligen Sanger, Du des Gral,
Du des Erlosers und der Kreuzesqual!
Weh mir, wenn ich nicht wurdig bin, wenn nicht
Stahlhart mein Hirn, mein Herz wie Sonnenlicht,
Wenn lauter nicht wie Morgenthau mein Blut,
Mein Geist nicht wie auf Adlersschwingen ruht.
Wer halt mich aufrecht und wer gibt mir Muth,
Wer legt auf meine Zunge Flammengluth?
Mit tausend Bluthen und mit tausend Stimmen
Lockt mich Natur und tausend Sterne glimmen,
Aus allen Tiefen klingt es dumpf und wirr –
Wer fuhrt mich aufwarts, wenn mein Fub geht irr?
Dich Gotteskraft, die Niemand nennen kann,
Endlos erzeugende, Dich ruf’ ich an.
Du bist der Schoob, der rings die Welt geboren,
Du bist des Baumes Saft, das Blut der Poren,
Aus Dir entquillt der Tag, aus Dir die Nacht,
Du bist der Donner, Du des Fruhlings Pracht,
Du bist die Flamme, die den Kampf entzundet,
Die Liebe, drin der Strom der Zeiten mundet.
O lab auch dies Lied Dir gesungen sein,
Von Deines Athems Hauch durchdrungen sein!
Ein Schrecken fabt mich, meine Seele bebt
Vor diesem Sturm, der sich in mir erhebt,
Vor diesen Bildern, die mein Innres schaut,
Die einen blab, die andren lichtumthaut,
Vor diesem Weg, von Nebelrauch umdampft,
Vom Schritt der Erdjahrtausende zerstampft –
Ach Weltgeist, ohne Dich ring’ ich vergebens,
Du tranke mich vom Borne Deines Lebens!
Ich bin ein Griffel nur in Deiner Hand,
Ein Weizenkorn, Du sa’st es in das Land,
Aus meinen Worten spruht ein Funke nur
Der Gluth, die mich umwogt auf Deiner Spur,
Dein ist die Kraft, ich bin Dein Eigenthum,
Und bluht ein Kranz mir, Dein ist aller Ruhm.
Volk das ich liebe, Volk, an dessen Kraft
Ich glaube, Du der Menschheit Blut und Saft,
Du grune Eiche, schwellend von Geast,
Dein Haupt trinkt Himmelsglanz, gen Ost und West
Streckst Du die Arme, erzgeschmiedet druckt
Dein Fub des Erdreichs Kern, kein Sturmwind ruckt
Zur Seite Dich um einer Spanne Raum,
Durch Deine Blatter rauscht ein Fruhlingstraum,
Aus Deinem Wipfel klingt es wie Gelaut:
Es kommt ein Morgen, der die Welt erneut.
Volk das ich liebe, alles was ich bin,
Bin ich durch Dich, so nimm als Opfer hin
Mein armes Lied, vielleicht mit tausend Reben
Wird es in Deiner Seele aufwarts streben.
Ihr aber, Freunde, reicht mir her ein Glas
Thaufrischen Rieslings! welch ein Trunk ist das!
Das Aug’ wird hell, die Finsternib zieht fort
Und auf die Lippe drangt sich Wort um Wort.