Hunger
Am besten wird gegessen in der Welt
In Hamburg, diesem edlen Beefsteakhorte,
Und hier, doch selten ohne vieles Geld,
Ganz ausgezeichnet, in der Tat, bei Pfordte.
In “Wilken’s Keller”, wenn es euch gefallt,
So hieben fruher jene Schlemmerworte.
“Mais à Paris?…” Mais oui… “Cafe Anglais…”
Nein, Pfordte nur, entscheid ich als Gourmet.
Ja, war’ so kund und weitberuhmt mein Name,
Den stolz Herr Pfordte tragt, ich war’ zufrieden.
Von Zungen viel fliegt aus der wonnesame,
Wie einst Homer ihn streute dem Peliden.
Ist das nicht grobte Trommel und Reklame,
So kann ich wahrlich bessere nicht schmieden.
Liest Pfordte diese kleine Rhapsodie,
Er schickt mir gleich zwei Flaschen Pommery.
Ah, Pommery, du der Champagner Krone,
Von allen Sorten lieb ich dich zumeist.
Du wunderbarer, stiller Cicerone,
In welche Himmel fuhrst du meinen Geist.
Durch dich vergeb ich alle Erdenfrone,
Hast du mich sanft dem grauen Tag entgleist;
Zwar bleibt verschieden immer der Geschmack,
Der liebt die Witwe, jener Silberlack.
Jungst saben hier in kleiner Tafelrunde
Ein Sportsman, ein Verleger und zwei Dichter,
Und Pfordtes Lob erklang in aller Munde,
Der Sportsman selbst lieb fort den Splitterrichter.
Als Sackelmeister, was ich gern bekunde,
Hielt sich der Herr Verleger als Verpflichter.
“Das labt tief blicken”, wie das Spruchlein spinnt,
Wenn ein Verleger solche Scherze sinnt.
Die beiden Dichter waren seine Kinder,
Und diese Kinder machten ihm Vergnugen,
Zwar war der eine von den beiden minder
Beruhmt, noch will sein Bucherpflug nicht pflugen
Im Vaterland, kein rechter Kundenfinder,
Der andre aber fliegt in Adlerflugen,
Und dankbar zu ihm auf schaut die Nation,
Denn was er singt, singt er im Meisterton.
Wer ist ein Dichter? Mancher ist es wohl,
Der durch sein Leben keinen Vers geschrieben,
Der Deutsche zwar, und sab’ er auch am Pol,
Mub reimen selbst bei Bier und Kegelschieben;
Und viele, greulich ist ihr Strophenkohl,
Sind Stumper stets trotz Lorbeerkranz geblieben.
O Muse, trage nicht so hoch den Nacken,
Du hast im Stall zu viel der lahmen Kracken.
Verzeihung, dab ich absprang vom Diner.
Die Kerzen flimmern, und es herrscht die Stimmung,
Die so behagliche, die beim Kaffee
Geplauder durch Zigarrendampfverschwimmung
Hinflattern labt zu sattem Evoë,
Fern jeder hoheren Gesprachserklimmung.
Der eine von den Herrn geniebt die Pracht,
Vom offnen Fenster aus, der schwulen Nacht.
Noch immer klingelt fort die Pferdebahn,
Noch immer hat die Droschke Appetit,
Und unten mascht sich weiter der Roman
Von jedem Menschen, der voruberzieht,
Dem wohler ware, wenn der Fibelhahn
Ihm schon gekraht des Lebens letztes Lied.
Ein trages Wolkchen, das sich Sterne harkt,
Betupft das Gluhlicht auf dem Rathausmarkt.
Der Rathausmarkt ist Hamburgs schonster Platz.
Die Borse, dieser Engelssitz, liegt dort.
Des groben Gotzen Schritt, des Nimmersatts,
Drohnt Tag fur Tag durch ihre Hallen fort.
Als Zwanzigmarkstuck schlagt hier selbst dem Spatz
Das Herzchen, zirpt er auf dem Gnadenhort.
>Am Rathausmarkt auch, sanft wie Himmelssegen,
Ist Pfordtes Sybaritenhaus gelegen.
Wer biegt aus jener Strabe her… nein da…
Wo just der Offizier vorbeigegangen –
Nun bleibt er stehn… am Laden dort… holla…
Es konnte jedem vor dem Antlitz bangen.
Spruhn seine Lippen ein Anathema?
Was will der wuste Kerl sich unterfangen?
Er drangt auf Pfordtes Haus die Nackensehnen,
Und sieht den Herrn am offnen Fenster lehnen.
Und drohend ballt sich seine Faust nach oben,
Die Nagel scheinen sich ins Fleisch zu graben.
Sein Kalabreser, auf die Stirn geschoben,
Umrahmt die blassen Zuge eines Knaben,
In denen Wogengang und Sturme toben,
Und grablich Strandgut ihren Kusten gaben:
“Du Schurke, du, ich hungre seit vier Tagen,
Du fullst dir mit Kapaun und Sekt den Magen.”
Am Fenster jener zittert und erbleicht,
Und weib im Augenblick kein Wort zu finden,
Und ist im tiefsten Innersten erweicht,
Und kann das regste Mitleid nur empfinden.
Dann hat er Ruhe wieder bald erreicht,
Und labt nach unten seine Worte binden:
“Ich komme, warte, wo du stehst, am Laden,
Und sprachst du wahr, dann ist es dir kein Schaden.”
Doch unten ist der Schmerzenreich verschwunden,
Am Laden ist die Stelle stumm und leer,
Und niemand kann den fremden Mann bekunden,
Und wo er schwand im groben Menschenmeer.
Und jener hat den Klager nicht gefunden,
Lief er auch alle Straben kreuz und quer.
Bis er vom Suchen mude niedersank
Am Alsterdamm auf eine Gartenbank.
Verworren brodelt her das Stadtgebrause,
Die kleinen Dampfer kreuzen durchs Bassin.
Beendet ist auf Uhlenhorst die Pause,
Und klar heruber klingt Doux entretien.
Die Vorstadt jubelt noch der Narrenkrause,
Im Tingeltangel und dem Harlekin.
Und eine Stimme, schwer und vorwurfsgrob,
Ringt sich wie muhsam aus den Wassern los:
“Wibt ihr, was Hunger ist? Ihr wibt es nicht,
Denn was ihr Hunger nennt, ist nur ein Sporn,
Auf den durch Jagd und Bad ihr seid erpicht,
Ihn kunstlich scharf zu schleifen, ist ein Dorn,
Der sanft das fette Eingeweide sticht,
Ein scheinheilig Gefuhl, ist Buhnenzorn.
Euch ist der Hunger leichtverzaunte Szene,
Und lachend beiben fort sie eure Zahne.
Ich hungre heut den vierten langen Tag,
Und bin auf Nahrung nun nicht mehr versessen,
Im Ohre klingt es mir wie Wellenschlag,
Mich hat die Welt, und ich hab sie vergessen.
Sauft nur und prabt auf eurem Zechgelag,
Was kummert euer Schlemmen mich und Fressen.
Ein Sprung hat bald dem Leben mich entfernt,
Das Betteln hab ich nicht zu Haus gelernt.”
Die Welle tuschelt mit dem Sternenheer,
Spult Schaum heran und spielt mit ihm am Strand.
Herr Gott, seht, seht, kommt Leute, Hulfe her,
Dort liegt ein angeschwemmter Mensch im Sand.
Und aus den Wassern hoben wir ihn schwer,
Und keinem ist der stille Mann bekannt.
Grub dieser blassen, feinen Stirn, dem Dulder,
Das Kainsmal der eigene Verschulder?