Durch die Nacht
Zuweilen mach ich durch meine einsame Gegend
Einen Nachtspaziergang.
Am Tag begegn’ ich zwar auch selten einem Menschen
In meinen Heiden und Reddern,
Zwischen meinen geheimnisvollen Sumpflochern
Und dustern Mooren.
Und das ist wundervoll.
Aber nachts – ganz ohne Menschen:
Jeder stimmt mir bei: Das ist noch wundervoller.
Herbstsommer. Sternenhelle. Kuhle Luft. Windstille.
Schon geh ich eine halbe Stunde
Durch die Dunkelheit.
Plotzlich springt einer
Aus dem Knick auf mich zu
Und fragt mich im Bab:
“Bist du’s, Lubumurski?”
Nein, ich heibe Lubumirski,
Antwort ich.
Der Kerl verschwindet brummend.
Aber ich fasse doch meinen Knuppel fester.
Und sehe, wie die Weiber das konnen,
Im Vorwartsgehen nach ruckwarts.
Keiner folgt mir.
Unendlich schone Nacht.
Ich komme einer starken Birke,
Die ich genau kenne, vorbei.
Kaum kann ich die weibe Farbe
Ihrer Korkrinde gewahr werden.
Ich bleibe stehn und lehne mich an sie.
Und dann leg ich mein Ohr an den Stamm:
Erzahl mir aus deinem Leben,
Oder wie du lebst und stirbst,
Immer wieder von neuem lebst und stirbst.
Ich horche und horche,
Ich halte meinen Atem an.
Zwei alte wackre Krahen,
Die oben baumen bis zur Fruhe,
Um dann weit wegzustreichen zur Äsung,
Stehn klatschend auf aus den Zweigen,
Hochst ubelgelaunt
Über meine unnotige Storung.
I bieth holt serr uhm Verzeihuhng.
Ich wandre weiter.
Ein Wiesel huscht uber den Weg,
Auf seinem Raubzug von mir erschreckt.
Mille Pardon, mon cher brigand.
Ich bleibe wieder stehn.
Ich versuche, irgendeinen Ton zu horen.
Lautlos.
Aber da ist es mir,
Als hort’ ich aus ganz ungeheurer Ferne
Das Stampfen von hunderttausend Pufferkolben.
Ganz, ganz leise tont es her.
Das gleichmabige Zerstampftwerden der Menschheit.
Das Gemurmel der Welt.
Wie ich mich wieder in Bewegung setze,
Wandern rechts und links von mir
Zwei – “Astralleiber”.
Es sind die teutschen Lyriker
Tutlitut und Pieplipiep.
Ich gebe ihnen sofort
Einen tuchtigen Tritt.
Sie losen sich, Gott sei Dank, auf.
Ich bin wieder allein.
O unvergleichlich schone Nacht.
Mit deinen schwarzen Tuchern
Bedeckst du das Leben:
Den Hab und die Liebe.
Lauern im Kreuzweg dort
Die Erinnyen auf mich?
Hor ich ihr Flustern?
Riech ich schon den Qualm ihrer Fackeln
Und seh den Schein der Flammen im obern Laub?
Schielen sie schon um die Ecke?
Um, hochgeschurzt wie zum Wettlauf,
In der Rechten die neunschwanzige Katze,
Mit grablichem Geschrei hinter mir herzujagen?
Die Erinnyen sind die Dreieinigkeit
Des bosen Gewissens.
Saumig sinkt die Nacht weg, die Sterne sterben,
Und die Morgenrote
Schickt ihre ersten Vedetten vor.
Ich biege aus meinen Nebenwegen ein
Auf die Chaussee
(“Kunststrabe” kann ich leider immer noch nicht sagen).
Alles liegt im Schlafe.
Tutlitut und Pieplipiep
Konnten noch nicht die “suben Immelein” besingen.
Marchenhaft ragt
Über weite Stoppelfelder weg
Ein langer Fabrikschornstein,
Scharf abgehoben
Gegen einen ockergelben Himmelsstreifen.
Ein Rauch zieht daraus nach Suden,
In durchaus waagerechter Linie,
Sehr langsam, ohne jede Formverschiebung:
In der grenzenlosen Morgenstille,
In der toten Landschaft,
Wo noch kein Tier, kein Wagen zu entdecken ist,
Das einzige lebende “Wesen”:
Der trage in einer Richtung ziehende,
Sich nicht verandernde,
Gerauschlose Rauch.
Phantastisch!
Ich schreite weiter.
Und komme bei Sassens Uhlenkrug vorbei.
Da steht in dem einsamen Ausspann
Die schlanke Emma mit der Grafinnennase.
Alles schnarcht noch im Hause.
Nur das schone Madchen ist schon auf
Und will die Fenster putzen.
Sie lacht, wenn sie mich erkennt.
Tur auf!
Zuerst mal einen Cognac Eau de vie vieille. Martell.
Jetzt einen Groschen gesteckt
Ins entsetzliche “selbstspielende” Klavier.
Schnellwalzer:
Stiefelputzer war mein Vater
Am Berliner Stadttheater.
Meine Mutter wusch Manschetten
Fur Offiziere und Kadetten.
Droschkenkutscher war mein Bruder,
Hat gefahren manches Luder.
Meine Schwester, diese Hure,
Hing sich auf mit einer Schnure.
Nach dieser Melodie
Peddn wi een af.
Nichts, nichts geht ubers Walzertanzen.
Noch einen Groschen rin
In die furchterliche Maschine:
Langsamerer Walzer “mit Gefuhl”.
Madchen, die in Seide rauschen,
Kosten abends oft viel Geld,
Wenn es bei dem Sekt geht saufen,
Dieses ihnen sehr gefallt.
Und auch nach dieser schonen Weise
“Peddn wie een af.”
In der linken Hand halt sie das Wischtuch.
Ich habe meinen Hut ins Genick geschoben.
Himmlisch, himmlisch,
Sich so mit dem frohlichen Madel
Im Kreise zu drehn.
Abschied mub sein.
Addio!
Halt, noch’n Cognac Eau de vie vieille. Martell.
(Herr Professor Doktor Alfred Biese sieht’s nicht.)
Und nun, alles hat ein Ende,
Noch einen letzten Groschen
In den Teufelsrachen:
O du mein Max, mein Max, mein Max,
Kopfchen wie Wachs, wie Wachs, wie Wachs,
Wangen so rot, so rot wie Blut,
Mutter, dem Max bin ich so gut.
Und aus der Tur,
Die zu ebner Erde liegt,
Walzen wir auf die Chaussee hinaus.
Aus ist der Tanz.
Leb wohl.
Nun eil ich nach Hause.
Denn schon wird’s lebendig:
Vadder Ohlsen kommt mit dem Brotkorb an.
“Hervorragend” reine Finger sind’s,
Mit denen er die Rundstucke in den Beutel steckt,
Der an den Hausturklinken der Villen hangt.
Ein erster Radler rast,
Die Stirn weit vorgelegt,
Mit gebogenstem Rucken an mir vorbei.
Ein Automobil tofftofft
Mit Satansgeschwindigkeit heran:
Es ist schneeweib;
Drin sitzen zwei Manner und zwei Frauen
Mit groben schwarzen Eulenbrillen.
Die Poesie der Chaussee.
Ein uralter Bauer,
Mit einer Empirehose,
Schiebt “Godn Dag ok” voruber.
Ein Wagen mit Äpfeln,
Die nach Hamburg sollten,
Ist umgefallen:
Der Kutscher kratzt sich hinterm Ohr,
Genau wie auf einem “Genrebild”.
Und da kommt auch in Allerherrgottsfruhe
Ein Sarg her aus einem Heidedorf.
Er steht, karglich bekranzt, auf einem Leiterwagen.
Unter den paar Leidtragenden
Bemerk ich einen, der genau aussieht
Wie Lenau.
Ich weib, dab seine Familie,
Zigeuner aus Ungarn,
Vor vielen Jahren in diesem Heidedorf
Hangengeblieben sind.
Nun aber wird’s die hochste Zeit:
Nach Hause, nach Hause!
Die Nacht gehort der Liebe
(Diese Nacht gehorte dem Alleinsein),
Der Tag dem Schwert.
Mein Schwert heibt heute
Die Arbeit.