Arme Lieder
1. Meine Nachbarschaft
Mein Fenster schaut auf einen dustern Hof,
Auf schmutzge Dacher und auf russge Mauern,
Doch wer wie ich ein Stuckchen Philosoph,
Lasst darum sich noch lange nicht bedauern.
Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht
Dringt schliesslich auch durch seine truben Scheiben,
Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht
Und all mein Thun ist nur ein wenig Schreiben.
Ein wenig Schreiben, wenn ich stundenlang
Mich einlas in die Wunderwelt der Alten,
Bis endlich, endlich es auch mir gelang,
Was ich gefuhlt, zum Wohllaut zu gestalten.
Dann fliesst es um mich wie ein Heilgenschein,
Und mir im Herzen bauen sich Altare;
So konnt ich glucklich und zufrieden sein,
Wenn ach, nur meine Nachbarschaft nicht ware!
Kein Schwarmer ist es, der die Flote liebt
Und auf ihr nur “des Sommers letzte Rose”,
Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt,
Auch kein klavierverruckter Virtuose:
Ein armer Schuster nur, der nachtens flickt,
Wenn langst aufs Dach herab die Sterne scheinen,
Indess sein Weib daneben sitzt und strickt
Und seine Kinderchen vor Hunger weinen!
O Gott, wie oft nicht schon hat dieser Laut
Mich mitten aus dem tiefsten Schlaf geruttelt!
Und wenn ich halbwach dann mich umgeschaut,
Hat wild es wie ein Fieber mich geschuttelt.
Des Madchens Schluchzen und des Knaben Schrei
Und ganz zuletzt des Sauglings leises Wimmern –
Mir war’s, als horte ich dann nebenbei
Drei kleine, kleine schwarze Bettlein zimmern.
Mir war’s, als rollte dumpf dann vor das Haus
Der nur zu wohlbekannte Armenwagen
Und jene Bettlein trugen sie hinaus
Und luden sie in seinen dustern Schragen.
Der Kutscher aber nahm noch einen Schluck
Und peitschte fluchend seine magren Schinder
Und ubers Pflaster dann ging’s Ruck auf Ruck,
Doch ach, noch immer wimmerten die Kinder!
Und immer, immer noch klang’s mir im Ohr,
Wenn schon der Morgen durch das Fenster blickte,
Und mir ums Auge hing einen Thranenflor,
Wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte.
Was half mir nun mein “Stuckchen Philosoph”?
In Trummer fiel, was ich so luftig baute!
Doch that’s das Haus nicht, nicht der dustre Hof,
Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! –
Die Armuth bettelt um ein Stuckchen Brot,
Doch herzlos lasst der Reichthum sie verhungern
Millionen tritt die Goldgier in den Koth,
Und Einen einzigen nur lasst sie lungern.
In seidne Betten wuhlt sie ihn hinein,
Wenn er beim Sect sich endlich ausgeplappert,
Indess beim flackernden Laternenschein
Das bleiche Elend mit den Zahnen klappert.
O Gott, warum dies alles, o warum?
Wie Centnerlast druckt mich die Frage nieder!
In meinen Reimen geht sie heimlich um
Und achzt und stohnt durch meine armen Lieder.
Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball?
Denn auch die Kunst, langst stieg sie vom Kothurne!
Einst schlug mein Herz wie eine Nachtigall,
Doch ach, nun gleicht es einer Thranenurne!
2. Een Boot is noch buten!
“Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Jehann!
Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind!
Ji hewt doch gesehn dem Klabautermann?
Gott Lob, dat wi wedder to Hus sind!”
Die Fischer riefen’s und stiessen ans Land
Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand,
Denn dumpf an rollten die Fluthen;
Han Jochen aber rechnete nach
Und schuttelte finster sein Haupt und sprach:
“Een Boot is noch buten!”
Und ernster keuchte die braune Schaar
Dem Dorf zu uber die Dunen,
Schon grussten von fern mit zerwehtem Haar
Die Frau’n an den Grabern der Hunen.
Und “Korl!” hiess es und “Leiw Marie!”
“‘T is doch man schon, dat ji wedder hie!”
Dumpf an rollten die Fluthen –
“Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!”
Und Jochen wies in die brullende See:
“Een Boot is noch buten!”
Am Ufer draute der Mowenstein,
Drauf stand ein verrufnes Gemauer,
Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein
Und gossen Oel in das Feuer.
Das leuchtete weit in die Nacht hinaus
Und sollte rufen: O komm nach Haus!
Dumpf an rollen die Fluthen –
Hier steht Dein Weib in Nacht und Wind
Und jammert laut auf und kusst Dein Kind:
“Een Boot is noch buten!”
Doch die Nacht verrann und die See ward still
Und die Sonne schien in die Flammen,
Da schluchzte die Aermste: “As Gott will!”
Und bewusstlos brach sie zusammen!
Sie trugen sie heim auf schmalem Brett,
Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett
Und draussen platschern die Fluthen;
Dort spielt ihr Kind, ihr “lutting Jehann”,
Und lallt wie traumend dann und wann:
“Een Boot is noch buten!” –
3. So Einer war auch Er!
Liegt ein Dorflein mitten im Walde,
Ueberdeckt vom Sonnenschein,
Und vor dem letzten Haus an der Halde
Sitzt ein steinalt Mutterlein.
Sie lasst den Faden gleiten
Und Spinnrad Spinnrad sein
Und denkt an die alten Zeiten
Und nickt und schlummert ein.
Heimlich schleicht sich die Mittagsstille
Durch das flimmernde, grune Revier.
Alles schlaft; selbst Drossel und Grille
Und vorm Pflug der mude Stier.
Da plotzlich kommt es gezogen
Blitzend den Wald entlang
Und vor ihm hergeflogen
Trommel und Pfeifenklang.
Und in das Lied vom alten Blucher
Jauchzen die Dorfler: Sie sind da!
Und die Madels schwenken die Tucher
Und die Jungens rufen: Hurrah!
Gott schutze die goldnen Saaten,
Dazu die weite Welt;
Des Kaisers junge Soldaten
Ziehn wieder ins grune Feld!
Sieh, schon schwenken sie um die Halde,
Wo das letzte der Hauschen lacht!
Schon verschwinden die ersten im Walde
Und das Mutterchen ist erwacht
Versunken in tiefes Sinnen,
Wird ihr das Herz so schwer
Und ihre Thranen rinnen:
“So Einer war auch Er!”
4. Ein Herz, das zersprungen
Den Menschen fernab
In Sammt und in Trauer
Liegt einsam ein Grab,
Ein Grab an der Mauer.
Kein Marmorstein deckt
Den sinkenden Hugel,
Doch druberhin reckt
Ein Baum seine Flugel.
Ein Christuskreuz sieht
Aus bluhendem Flieder
Und manchmal auch kniet
Ein Weib davor nieder.
Und gestern, als sacht
Ich vorubergegangen,
Da gab ich drauf Acht,
Was die Vogel dort sangen.
Ich lauschte und sieh,
Da war es die alte,
Die Schmerzmelodie,
Die noch niemals verhallte:
Ein Baum, der verbluht,
Ein Ton, der verklungen,
Ein Stern, der vergluht,
Ein Herz, das zersprungen!
5. Nachtstuck
Langst fiel von den Baumen
Das letzte Blatt,
In Schlaf und Traumen
Liegt nun die Stadt;
Die Fenster verdunkeln
Sich Haus an Haus
Und druberhin funkeln
Die Sterne sich aus;
Kalt weht es vom Strom her,
Der Eisgang kracht,
Und druben vom Dom her
Drohnt’s Mitternacht.
Ich aber schleppe mich zitternd nach Haus –
Der Nordwind blast die Laternen aus!
Was half’s, dass ich klagend
Die Gassen durchlief
Und mitleidverzagend
“Hier Rosen!” ausrief?
“Hier Rosen, o Rosen!
Wer kauft einen Strauss?”
Doch die Herren Studiosen
Lachten mich aus!
Und keiner, keiner….
Dass Gott erbarm!
O unsereiner
Ist gar zu arm!
Mir wanken die Kniee, mein Herzblut gerinnt –
O Gott, mein Kind, mein armes Kind!
In stockdunkler Kammer,
Verhungert, verthiert!
Schon packt mich der Jammer:
“Ach Muttchen, mich friert!
Ach bitte, bitte
Ein Stuckchen Brot!”
Mir ist es, als litte
Ich gleich den Tod!
Mir ist es, als musste
Ich schreien: “Fluch!” –
O dass ich dich kusste
Durchs Leichentuch!
Dann war es vorbei und sie scharrten dich ein
Und ich trug es allein, o Gott, allein…
6. Weder Gluck noch Stern!
Es war ein Narr! sprach mitleidslos die Welt,
Ein Traumer! milderte die Nachbarschaft
Und nur sein Herzfreund sprach: Er war ein Dichter!
Vor seinem Krankenlager aber sass
Die bleiche Schwester der Barmherzigkeit
Und blickte sinnend auf ein Blatt Papier,
Das gestern erst der flinke Telegraph,
Mit seinen krausen Zugen uberdeckt,
Und nur mit Muhe konnte sie entziffern:
“Ihr erstes Stuck! Ein Sensationserfolg!
Beruhmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!”
Er aber, dem dies kleine Blatt Papier
Die heissersehnte Botschaft kunden sollte:
Gluck auf, nun hast du nicht umsonst gelebt –
Er schlief und sah es nicht, denn er war todt.
Der dunkle Winterabend warf sein Licht
Kalt durch die zugefrornen Fensterscheiben
Und spielte zitternd um ein Frauenbild,
Das auf die bleiche Stirn des todten Dulders
Unsaglich schon und mitleidsvoll herabsah.
Darunter aber wand ein welker Kranz
Sich grun um ein vergilbtes Atlasband;
Drauf stand, voreinst von Freundeshand geschrieben,
Das Spruchlein: Lorbeerbaum und Bettelstab!
7. Ninon
Ninon heisst sie. Ihre Mutter
Handelt nachts mit Apfelsinen
An der Weidendammer Brucke.
Doch sie selbst ist Kammerkatzchen.
Stockelschuhchen. Sehr kokett.
Sehr kokett sitzt auch ihr Haubchen,
Das auf ihrem krausen Kopfchen
Weiss und niedlich balanciert.
Doch der kleine Marmorschlingel,
Der dem Spiegel vis-a-vis
Grad vor einem Makartstrauss hockt,
Lasst sich dadurch nicht verbluffen.
Immer, wenn ihr Pfauenwedel
Ihn fruhmorgens abstaubt, lacht er.
Ja, die Stutzuhr kann sogar
Deutlich horen, was er sagt:
“Thu mir den Gefallen, Kind, und
Kokettiere nicht so viel!
Ninon nennt die gnadge Frau dich?
Geh, du heisst ja gar nicht so!
Martha heisst du. Dein Papa
War der gnadge Herr von Dingsda.
Vor drei Wochen in New-York
Starb er als Conditorlehrling.
Deine Mutter lebt. Sie schielt,
Hinkt und schnupft. Im Uebrigen
Handelt sie mit Apfelsinen
An der Weidendammer Brucke.”
8. Im Volkston
Das Scheiden, ach das Scheiden,
Wer hat das nur erdacht
Und ein so schweres Leiden
Mir ubers Herz gebracht?
Und war’s ein Krautelein,
Ich nahm mein Messerlein
Und wollte flink zerschneiden
Die bosen Wurzelein.
Ich horte von den Weiben
Herzliebe und Herzleid,
Wo Herzelieb mag bleiben,
Ist Herzeleid nicht weit.
Herzliebe war uns hold
Und fluchs kam angetrollt,
Die Schwester zu vertreiben,
Herzleide, die ihr grollt.
Aus Thor und Thurm und Mauern
Zieh ich hinab das Thal
Und blicke noch in Trauern
Zuruck zum letzten Mal.
Horch, wie die Winde gehn,
Schau, wie die Blatter wehn –
Ach Gott, wie lang wird’s dauern,
Bis wir uns wiedersehn!