Die Falschheit menschlicher Tugenden
Der Ursprung dieses Gedichtes ist demjenigen gleich, derdas funfte veranlabt hat. Es ist auch eben in einer Krankheitgemacht worden, die mich eine Zeitlang von andern Arbeiten abhielt. Der Grund-Rib istdeutlicher, aber die Verse schwacher.
Geschminkte Tugenden, die ich zu lang erhob,
Scheint nur dem Pobel schon und sucht der Toren Lob!
Bedeckt schon euer Nichts die Larve der Gebarden,
Ich will ein Menschen-Feind, ein Swift, ein Hobbes werden
Und bis ins Heiligtum, wo diese Gotzen stehn,
Die Wahn und Tand bewacht, mit frechen Schritten gehn!
Ihr fullt, o Sterbliche! den Himmel fast mit Helden;
Doch labt die Wahrheit nur von ihren Taten melden!
Vor ihrem reinen Licht erblabt der falsche Schein,
Und wo ein Held sonst stund, wird itzt ein Sklave sein.
Wann Volker einen Mann sich einst zum Abgott wahlen,
Da wird kein Laster sein und keine Tugend fehlen;
Die Nachwelt bildet ihn der Gottheit Muster nach
Und grabt in Marmorstein, was er im Scherze sprach.
Umsonst wird wider ihn sein eigen Leben sprechen,
Die Fehler werden schon und Tugend strahlt aus Schwachen.
Zwar viele haben auch den frechen Leib gezahmt,
Und mancher hat sich gar ein Mensch zu sein geschamt:
Ein frommer Simeon wurd alt auf einerSaule,
Sah auf die Welt herab und tat, was kaum die Eule;
Ein Caloyer verscherzt der MenschenEigentum,
Verbannt sein klugstes Glied und wird aus Andacht stumm;
Assisens Engel loscht im Schnee die wildeHitze,
Sein heiber Eifer tilgt, bis in der Geilheit Sitze,
Des Übels Werkzeug aus, und was auf jedem Blatt
Fur Taten Surius mit rot bezeichnethat.
Allein was hilft es doch, sich aus der Welt verbannen?
Umsonst, o Stahelin! wird man sich zum Tyrannen,
Wann Laster, die man habt, vor grobern Lastern fliehn,
Und wo man Mohn getilgt, itzt Lolch und Drespe bluhn.
Wir achten oft uns frei, wann wir nur Meister andern,
Wir schelten auf den Geiz und werden zu Verschwendern.
Der Mensch entflieht sich nicht; umsonst erhebt er sich,
Des Korpers schwere Last zieht an ihm innerlich;
So, wann der rege Trieb in halb-bestrahlten Sternen
Von ihrem Mittel-Punkt sie zwingt sich zu entfernen,
Ruft sie von ihrer Flucht ein ewig starker Zug
Ins enge Gleis zuruck und hemmt den frechen Flug.
Geht Menschen, schnitzt nur selbst an euren Gotzen-Bildern,
Labt Gunst und Vorurteil sie nach Belieben schildern,
Erzahlt, was sie vollbracht und was sie nicht getan,
Und was nur Ruhm verdient, das rechnet ihnen an:
Das Laster kennet sich auch in der Tugend Farben,
Wo Wunden zugeheilt, erkennt man doch die Narben.
Wo ist er? zeiget ihn, der Held, der Menschheit Pracht,
Den die Natur nicht kennt und euer Hirn gemacht?
Wo sind die Heiligen von unbeflecktem Leben,
Die Gott den Sterblichen zum Muster dargegeben?
Viel Menschheit hanget noch den Kirchen-Engeln an,
Die Aberglaube deckt, Vernunft nicht dulden kann!
Traut nicht dem schlauen Blick, den demutsvollen Mienen!
Den Dienern aller Welt soll doch die Erde dienen.
War nicht ein Priester stets des Eigensinnes Bild,
Der Gotter-Spruche redt und, wenn er fleht, befiehlt?
Trennt nicht die Kirche selbst sich uber dem Kalender?
Des Abends Heiliger verbannt die Morgenlander,
Labt Infuln im Gefecht des Gegners Infulndraun
Und dringt auf Marterer mit Martrern feindlich ein.
Den Bann vom Niedergang zerblitzt der Bann ausNorden,
Die Kirche, Gottes Sitz, ist oft ein Kampfplatz worden,
Wo Bosheit und Gewalt Vernunft und Gott vertrieb
Und mit der Schwachern Blut des Zweispalts Urteil schrieb.
Grausamer Wuterich, verfluchter Ketzer-Eifer!
Dich zeugte nicht die Holl aus Cerbers gelbem Geifer,
Nein, Heilge zeugten dich, du garst in Priester-Blut,
Sie lehren nichts als Lieb und zeigen nichts als Wut.
Seitdem ein Papst geherrscht und sich ein Mensch vergottert,
Hat nicht der Priester Zorn, was ihm nicht wich, zerschmettert?
Wer hat Tolosens Schutt in seinem Blut ersauft
Und Priestern einen Thron von Leichen aufgehauft?
Den Blitz hat Dominic auf Albis Fursterbeten
Und selbst mit Montforts Fub der Ketzer Haupt ertreten.
Doch tadl ich nur vielleicht und bin aus Vorsatz hart,
Und die Vollkommenheit ist nicht der Menschen Art:
Genug, wann Fehler sich mit grobrer Tugend decken;
Die Sonne zeugt das Licht und hat doch selber Flecken.
Allein, wie, wann auch das, was ihren Ruhm erhoht,
Der Helden schoner Teil durch falschen Schein besteht?
Wann der Verehrer Lob sich selbst auf Schwachheit grundet
Und, wo der Held soll sein, man noch den Menschen findet?
Stutzt ihren Tempel schon der Beifall aller Welt,
Die Wahrheit sturzt den Bau, den eitler Wahn erhalt.
Wie Gut’ und Boses sich durch enge Schranken trennen,
Was wahre Tugend ist, wird nie der Pobel kennen.
Kaum Weise sehn die March, die beide Reiche schliebt,
Weil ihre Grenze schwimmt und ineinander fliebt.
Wie an dem bunten Taft, auf dem sich Licht und Schatten,
Sooft er sich bewegt, in andre Farben gatten,
Das Auge sich mibkennt, sich selber niemals traut
Und bald das Rote blau, bald rot, was blau war, schaut,
So irrt das Urteil oft. Wo findet sich der Weise,
Der nie die Tugend hass’ und nie das Laster preise?
Der Sachen lange Reih, der Umstand, Zweck und Grund
Bestimmt der Taten Wert und macht ihr Wesen kund.
Der grobten Siege Glanz kann Eitelkeit zernichten;
Der Zeiten Unbestand verandert unsre Pflichten,
Was heute ruhmlich war, dient morgen uns zur Schmach,
Ein Tor sagt lacherlich, was Cato weislich sprach.
Dies weib der Pobel nicht, er wird es nimmer lernen,
Die Schale halt ihn auf, er kommt nicht zu den Kernen;
Er kennet von der Welt, was auben sich bewegt,
Und nicht die innre Kraft, die heimlich alles regt.
Sein Urteil baut auf Wahn, es andert jede Stunde,
Er sieht durch andrer Aug und spricht aus fremdem Munde.
Wie ein gefarbtes Glas, wodurch die Sonne strahlt,
Des Auges Urteil tauscht und sich in allem malt,
So tut die Einbildung; sie zeigt uns, was geschiehet,
Nicht, wie es wirklich ist, nur so, wie sie es siehet,
Legt den Begriffen selbst ihr eigen Wesen bei,
Heibt Gleiben Frommigkeit und Andacht Heuchelei.
Ja selbst des Vaters Wahn kann nicht mit ihm versterben,
Er labt mit seinem Gut sein Vorurteil den Erben;
Verehrung, Hab und Gunst flobt mit der Milch sich ein,
Des Ahnen Aberwitz wird auch des Enkels sein.
So richtet alle Welt, so teilt man Schmach und Ehre,
Und dann, o Stahelin, nimm ihren Wahn zur Lehre!
Durch den erstaunten Ost geht Xaviers Wunder-Lauf,
Sturzt Nippons Gotzen um, und seine stellt er auf;
Bis dab, dem Amida noch Opfer zu erhalten,
Die frechen Bonzier des Heilgen Haupt zerspalten:
Er stirbt, sein Glaube lebt und unterbaut den Staat,
Der ihn aus Gnade nahrt, mit Aufruhr und Verrat.
Zuletzt erwacht der Furst und labt zu nassenFlammen
Die Feinde seines Reichs mit spatem Zorn verdammen;
Die meisten tauschen Gott um Leben, Gold und Ruh,
Ein Mann von Tausenden schliebt kuhn die Augen zu;
Sturzt sich in die Gefahr, geht mutig in den Ketten,
Steift den gesetzten Sinn und stirbt zuletzt im Beten.
Sein Name wird noch bluhn, wann, lange schon verweht,
Des Martrers Asche sich in Wirbel-Winden dreht;
Europa stellt sein Bild auf schimmernde Altare
Und mehrt mit ihm getrost der Seraphinen Heere.
Wann aber ein Huron im tiefen Schnee verirrt,
Bei Eries langem See zum Raub der Feindewird,
Wann dort sein Holz-Stob glimmt und, satt mit ihm zu leben,
Des Weibes todlich Wort sein Urteil ihm gegeben,
Wie stellt sich der Barbar? wie grubt er seinen Tod?
Er singt, wann man ihn qualt, er lacht, wann man ihm droht;
Der unbewegte Sinn erliegt in keinen Schmerzen,
Die Flamme, die ihn sengt, dient ihm zum Ruhm und Scherzen.
Wer stirbt hier wurdiger? ein gleicher Helden-Mut
Bestrahlet beider Tod und wallt in beider Blut;
Doch Tempel und Altar bezahlt des Martrers Wunde,
Kanadas nackter Held stirbt von dem Tod der Hunde!
So viel liegt dann daran, dab, wer zum Tode geht,
Geweihte Worte spricht, wovon er nichts versteht.
Doch nein, der Outchipoue tut mehr als derBekehrte,
Des Todes Ursach ist das Mab von seinem Werte.
Den Martrer trifft der Lohn von seiner Übeltat;
Wer seines Staats Gesetz mit frechen Fuben trat,
Des Landes Ruh gestort, den Gottesdienst entweihet,
Dem Kaiser frech geflucht, der Aufruhr Saat gestreuet,
Stirbt, weil er sterben soll; und ist dann der ein Held,
Der am verdienten Strick noch prahlt im Galgen-Feld?
Der aber, der am Pfahl der wildenOnontagen
Den unerschrocknen Geist blast aus in tausend Plagen,
Stirbt, weil sein Feind ihn wurgt, und nicht fur seine Schuld,
Und in der Unschuld nur verehr ich die Geduld!
Wann dort ein Bubender, zerknirscht in heilgen Wehen,
Die Sunden, die er tat, und die er wird begehen,
Mit scharfen Geibeln straft, mit Blut die Stricke malt
Und vor dem ganzen Volk mit seinen Streichen prahlt:
Da ruft man Wunder aus, die Nachwelt wird noch sagen,
Was Lust er sich versagt, was Schmerzen er vertragen.
Wie aber, wann im Ost der reinliche Brachmann
Mit Kot die Speisen wurzt und Wochen fasten kann?
Wann Strome seines Bluts aus breiten Wunden flieben,
Die seine Reu gemacht, und oft der Tod mub buben,
Was Rom um Geld erlabt, wann nackt und unbewegt,
Er Jahre lang den Strahl der hohen Sonne tragt
Und den gestrupften Arm labt ausgestreckt erstarren?
Wie heiben wir den Mann? Betruger oder Narren!
Wann in Iberien ein ewiges Gelubd
Mit Ketten von Demant ein armes Kind umgibt,
Wann die geweihte Braut ihr Schwanen-Lied gesungen
Und die geruhmte Zell die Beute nun verschlungen,
Wie jauchzet nicht das Volk und ruft, was rufen kann:
Das Weib hort auf zu sein, der Engel fangt schonan!
Ja stobt, es ist es wert, in prahlende Trompeten,
Verbergt der Tempel Wand mit persischen Tapeten,
Euch ist ein Gluck geschehn, dergleichen nie geschah,
Die Welt verjungt sich schon, die guldne Zeit ist nah!
Gesetzt, dab ungefuhlt in ihr die Jugend bluhet
Und nur der Andacht Brand in ihren Adern gluhet;
Dab kein verstohlner Blick in die verlabne Welt
Mit sehnender Begier zu spat zurucke fallt;
Dab immer die Vernunft der Sinnen Feuer kuhlet
Und nur ihr eigner Arm die reine Brust befuhlet;
Gesetzt, was niemals war, dab Tugend wird aus Zwang:
Was jauchzt das eitle Volk? Wen ruhmt sein Lobgesang?
Doch wohl, dab List und Geiz des Schopfers Zweck verdrungen,
Was er zum Lieben schuf, zur Witwenschaft gezwungen,
Den vielleicht edlen Stamm, den er ihr zugedacht,
Noch in der Blut erstickt und Helden umgebracht;
Dab ein verfuhrtes Kind in dem erwahlten Orden
Sich selbst zur Überlast und andern unnutz worden!
O ihr, die die Natur auf bebre Wege weist,
Was heibt der Himmel dann, wann er nicht lieben heibt?
Ist ein Gesetz gerecht, das die Natur verdammt?
Und ist der Brand nicht rein, wann sie uns selbst entflammt?
Was soll der zarte Leib, der Glieder holde Pracht?
Ist alles nicht fur uns und wir fur sie gemacht?
Den Reiz, der Weise zwingt, dem nichts kann widerstreben,
Der Schonheit ewig Recht, wer hat es ihr gegeben?
Des Himmels erst Gebot hat keusche Huld geweiht,
Und seines Zornes Pfand war die Unfruchtbarkeit:
Sind dann die Tugenden den Tugenden entgegen?
Der alten Kirche Fluch wird bei der neuen Segen.›
Fort, die Trompete schallt! der Feind bedeckt das Feld,
Der Sieg ist, wo ich geh, folgt, Bruder!‹ ruft ein Held.
Nicht furchtsam, wann vom Blitz aus schmetternden Metallen
Ein breit Gefild erbebt und ganze Glieder fallen,
Er steht, wann wider ihn das strenge Schicksal ficht,
Fallt schon der Leib durchbohrt, so fallt der Held noch nicht.
Er schatzt ein todlich Blei als wie ein Freudenschieben,
Sein Auge sieht gleich frei sein Blut und fremdes flieben;
Der Tod lahmt schon sein Herz, eh dab sein Mut erliegt,
Er stirbet allzu gern, wann er im Sterben siegt.
O Held, dein Mut ist grob, es soll, was du gewesen,
Auf ewigem Porphyr die letzte Nachwelt lesen!
Allein, wann auf dem Harz, nun lang genug gequalt,
Ein aufgebrachtes Schwein zuletzt den Tod erwahlt,
Die dicken Borsten straubt, die starken Waffen wetzet
Und wutend ubern Schwarm entbauchter Hunde setzet,
Oft endlich noch am Spieb, der ihm sein Herz-Blut trinkt,
Den kuhnen Feind zerfleischt und, satt von Rache, sinkt:
Ist hier kein Helden-Mut? Wer baut dem Hauer Saulen? –
Die Jager werden ihn mit ihren Hunden teilen.
Wer ist der weise Mann, der dort so einsam denkt
Und den verscheuten Blick zur Erde furchtsam senkt?
Ein langst verschlissen Tuch umhullt die rauhen Lenden,
Ein Stuck gebettelt Brot und Wasser aus den Handen
Ist alles, was er wunscht, und Armut sein Gewinn;
Er ist nicht fur die Welt, die Welt ist nichts fur ihn.
Nie hat ein glanzend Erzt ihm einen Blick entzogen,
Nie hat den gleichen Sinn ein Unfall uberwogen,
Ihm wischt kein schones Bild die Runzeln vom Gesicht,
An seinen Taten beibt der Zahn der Mibgunst nicht;
Sein Sinn, versenkt in Gott, kann nicht nach Erde trachten,
Er kennt sein eigen Nichts, was soll er andrer achten?
Der Tugend ernste Pflicht ist ihm ein Zeitvertreib,
Der Himmel hat den Sinn, die Erde nur den Leib.
O Heiliger, geht schon dein Ruhm bis an die Sterne,
Flieh den Diogenes und furchte die Laterne! –
Ach, kennte doch die Welt das Herz so wie den Mund!
Wie wenig gleichen oft die Taten ihrem Grund!
Du beugst den Hals umsonst, die Ehre, die du meidest,
Die Ehr ist doch der Gott, fur den du alles leidest:
Wie Surena den Sieg, suchst du den Ruhm imFliehn,
Ein starker Laster heibt dich, schwachern dich entziehn,
Und wer sich vorgesetzt, ein Halbgott einst zu werden,
Der baut ins Kunftige, der hat nichts mehr auf Erden,
Ihm streicht der eitle Ruhm der Tugend Farben an,
Was heischt der Himmel selbst, das nicht ein Heuchler kann?
Versenkt im tiefen Traum nachforschender Gedanken,
Schwingt ein erhabner Geist sich aus der Menschheit Schranken.
Seht den verwirrten Blick, der stets abwesend ist
Und vielleicht itzt den Raum von andern Welten mibt;
Sein stets gespannter Sinn verzehrt der Jahre Blute,
Schlaf, Ruh und Wollust fliehn sein himmlischesGemute.
Wie durch unendlicher verborgner Zahlen Reih
Ein krumm geflochtner Zug gerecht zu messen sei;
Warum die Sterne sich an eigne Gleise halten;
Wie bunte Farben sich aus lichten Strahlen spalten;
Was fur ein innrer Trieb der Welten Wirbel dreht;
Was fur ein Zug das Meer zu gleichen Stunden blaht;
Das alles weib er schon: er fullt die Welt mit Klarheit,
Er ist ein steter Quell von unerkannter Wahrheit.
Doch, ach, es lischt in ihm des Lebens kurzer Tacht,
Den Muh und scharfer Witz zu heftig angefacht!
Er stirbt, von Wissen satt, und einst wird in den Sternen
Ein Kenner der Natur des Weisen Namen lernen.
Erscheine, grober Geist, wann in dem tiefen Nichts
Der Welt Begriff dir bleibt und die Begier des Lichts,
Und lab von deinem Witz, den hundert Volker ehren,
Mein lehr-begierig Ohr die letzten Proben horen!
Wie unterscheidest du die Wahrheit und den Traum?
Wie trennt im Wesen sich das Feste von dem Raum?
Der Korper rauhen Stoff, wer schrankt ihn in Gestalten,
Die stets verandert sind und doch sich stets erhalten?
Den Zug, der alles senkt, den Trieb, der alles dehnt,
Den Reiz in dem Magnet, wonach sich Eisen sehnt,
Des Lichtes schnelle Fahrt, die Erbschaft der Bewegung,
Der Teilchen ewig Band, die Quelle neuer Regung,
Dies lehre, grober Geist, die schwache Sterblichkeit,
Worin dir niemand gleicht und alles dich bereut!
Doch suche nur im Rib von kunstlichen Figuren,
Beim Licht der Ziffer-Kunst, der Wahrheit dunkle Spuren;
Ins Innre der Natur dringt kein erschaffner Geist,
Zu glucklich, wann sie noch die aubre Schale weist!
Du hast nach reifer Muh und nach durchwachten Jahren
Erst selbst, wie viel uns fehlt, wie nichts du weibt, erfahren!
›Die Welt, die Casarn dient, ist meiner nicht mehrwert‹,
Ruft seines Romes Geist und sturzt sich in sein Schwert.
Nie hat den festen Sinn das Ansehn grober Burger,
Der Glanz von teurem Erzt, der Dolch erkaufter Wurger,
Von seines Landes Wohl, vom bessern Teil getrannt:
In ihm hat Rom gelebt, er war das Vaterland.
Sein Sinn war ohne Lust, sein Herz war sonder Schrecken,
Sein Leben ohne Schuld, sein Nachruhm ohne Flecken,
In ihm verneute sich der alte Helden-Mut,
Der alles fur sein Land, nichts fur sich selber tut;
Ihn daurte nie die Wahl, wann Recht und Glucke kriegten,
Den Casar schutzt das Gluck und Cato die Besiegten.
Doch fallt vielleicht auch hier die Tugend-Larve hin,
Und seine Grobmut ist ein stolzer Eigensinn,
Der nie in fremdem Joch den steifen Nacken schmieget,
Dem Schicksal selber trotzt und eher bricht als bieget;
Ein Sinn, dem nichts gefallt, den keine Sanftmut kuhlt,
Der sich selbst alles ist und niemals noch gefuhlt.
Wie? hat dann aus dem Sinn der Menschen ganz verdrungen,
Die scheue Tugend sich den Sternen zugeschwungen?
Verlabt des Himmels Aug ein schuldiges Geschlecht?
Von so viel Tausenden ist dann nicht einer echt?
Nein, nein, der Himmel kann, was er erschuf, nicht hassen;
Er wird der Gute Werk dem Zorn nicht uberlassen:
So vieler Weisen Wunsch, der Zweck so vieler Muh,
Die Tugend, wohnt in uns und niemand kennet sie.
Des Himmels schonstes Kind, die immer gleiche Tugend,
Bluht in der holden Pracht der angenehmsten Jugend;
Kein finstrer Blick umwolkt der Augen heiter Licht,
Und wer die Tugend habt, der kennt die Tugend nicht.
Sie ist kein Wahl-Gesetz, das uns die Weisen lehren,
Sie ist des Himmels Ruf, den reine Herzen horen;
Ihr innerlich Gefuhl beurteilt jede Tat,
Warnt, billigt, mahnet, wehrt und ist der Seele Rat.
Wer ihrem Winke folgt, wird niemals unrecht wahlen,
Er wird der Tugend nie, noch ihm Vergnugen fehlen;
Nie stort sein Gleichgewicht der Sinne gaher Sturm,
Nie untergrabt sein Herz bereuter Laster Wurm;
Er wird kein scheinbar Gluck um wurklichs Elend kaufen
Und nie durch kurze Lust in langes Ungluck laufen;
Ihm ist Gold, Ruhm und Lust wie bei des Obsts Genub,
Gesund bei kluger Mab, ein Gift beim Überflub.
Der Menschen letzte Furcht wird niemals ihn entfarben,
Er hatte gern gelebt und wird nicht ungern sterben.
Von dir, selbstandige Gut, unendlichs Gnaden-Meer,
Kommt dieser innre Zug, wie alles Gute, her!
Das Herz folgt unbewubt der Wurkung deiner Liebe,
Es meinet frei zu sein und folget deinem Triebe;
Unfruchtbar von Natur, bringt es auf den Altar
Die Frucht, die von dir selbst in uns gepflanzet war.
Was von dir stammt, ist echt und wird vor dir bestehen,
Wann falsche Tugend wird, wie Blei im Test, vergehen,
Und dort fur manche Tat, die itzt auf aubern Schein
Die Welt mit Opfern zahlt, der Lohn wird Strafe sein!