Der Trompeter von Sakkingen 9. Stuck
Wind und Stromeswellen hatten
Claudio von Monteverdes
Tongebilde kaum verschlungen,
Da erhub sich in der Waldstadt
Schon kein anderes Gered’ mehr
Als von dieser Musica.
Aber nicht von Geist und Wesen
Der verklungnen Melodieen,
Nicht von ihrem suben Nachhall
In den Tiefen der Gemuter
Sprachen sie; es ward gestritten,
Wem der Freiherr bei dem Schlusse
Allzuerst den Dank gespendet,
Wem der Abt die schonsten Worte
Fur die Leistung ausgesprochen,
Und was dann aus Kuch’ und Keller
Schlieblich aufgetragen ward. –
Wie’s im Schweif der toten Eidechs
Spat noch krampfhaft zuckt und zittert,
Wenn das Leben schon entflohn ist,
So lebt der vergangnen Grobtat
Spur noch in der Mitwelt Klatsch.
* * *
Doch profaner Flachheit ferne,
Wandelt Margareta einsam
In der Fruh des andern Morgens
Zu der grunen Geibblattlaube,
Von den Tonen dort zu traumen
Und vorab von Werners Solo,
Das ihr noch die Seel’ durchschuttert
Wie ein leises Liebeswort.
Was erblickt sie? In der Laube
Auf dem braunen Rindentische
Lag ja die Trompete selber.
Gleich dem Zauberhorn des Huon
Wundersam Geheimnis bergend,
Stumm – und doch so redemachtig,
Sternhell glanzend lag sie da.
Margareta stand betroffen
An der Laub’ verranktem Eingang:
“War er hier? und wohin ging er?
Warum labt er die Trompete
So unachtsam preisgegeben?
Konnt’ ein Wurm sich drein verkriechen,
Konnt’ ein Dieb sie weiter tragen;
Ob ich wohl ins Schlob sie bringe
Zu fursorglicherm Verwahren?
Nein, ich geh’ und lab sie liegen;
Sollte schon gegangen sein.”
– Und doch ging sie nicht, – ihr Auge
Blieb an der Trompete haften
Wie der Maifisch an der Angel.
Mocht’ doch wissen, dacht’ sie wieder,
Ob auch ich mit meinem Hauche
Einen Ton konnt drin erwecken,
Wissen mocht’ ich’s gar zu gern.
Niemand sieht, was ich beginne,
Ringsumher kein lebend Wesen,
Nur der Kater Hiddigeigei
Leckt den Morgentau vom Buchse,
Nur das Kafervolk im Sande
Treibt sein angeboren Wuhlen,
Und die Raupen an der Laube
Kriechen ihren leisen Gang.
Also tritt sie ein, die Jungfrau,
Schuchtern nimmt sie die Trompete,
Prebt sie an die Rosenlippe,
Aber schier wie Schreck durchzuckt sie’s,
Da ihr Hauch im goldnen Tonkelch
Sich in lauten Schall verwandelt,
Den die Lufte weiter tragen,
Weiter – ach wer weib wohin?
Dennoch kann sie’s nimmer lassen.
Ungefuge Greueltone,
Schneidend falsche Dissonanzen
Blast sie in die Morgenstille,
Dab dem Kater Hiddigeigei
Sein angorisch langes Fellhaar
sich wie Igelstacheln aufstraubt,
Und das Ohr sich mit der Pfote
Sanft verhaltend sprach der Biedre:
“Dulde, tapfres Katerherze,
Das so vieles schon erduldet,
Duld’ auch dieser Jungfrau Blasen!
Wir, wir kennen die Gesetze,
Die dem alten Schopfungsratsel,
Die dem Schall zugrunde liegen,
Und wir kennen ihn, den Zauber,
Der unsichtbar durch den Raum schwebt,
Der ungreifbar wie ein Schemen
In die Gange des Gehors dringt
Und in Tier – – wie Menschenherzen –
Liebe, Sehnsucht und Entzucken,
Raserei und Wahnsinn aufturmt.
Und doch mussen wir erleben,
Dab, wenn unsre Katerliebe
Nachtlich sub in Tonen denkt,
Sie den Menschen Spott nur abringt,
Dab als Katzenmusica man
Unsre besten Werke brandmarkt.
Und doch mussen wir erleben,
Dab dieselben Menschenkinder
Solche Ton’ ins Dasein rufen,
Wie ich eben sie vernahm.
Solche Tone, sind sie nicht ein
Straub von Nessel, Stroh und Dornen,
Drin die Distel stechend prangt?
Und kann angesichts des Frauleins,
Das dort die Trompete handhabt,
Noch ein Mensch, ohn’ zu erroten,
Die Musik der Katzen schelten?
Aber dulde, tapfres Herze!
Duld’ – es werden Zeiten kommen,
Wo der Mensch, das weise Untier,
Uns die Mittel richt’gen Ausdrucks
Des Gefuhls entleihen wird;
Wo die ganze Welt im Ringen
Nach dem Hohepunkt der Bildung
Katzenmusikalisch wird.
Denn gerecht ist die Geschichte,
Jede Unbill suhnet sie.” –
Doch noch auber Hiddigeigei
Ward von Margaretas ersten
Tonversuchen unten tief am
Strand des Rheins ein andrer mehr zu
Zorn gestimmt als zu Entzucken.
Werner war es. Er erging sich
Fruh mit der Trompet’ im Garten,
Wollt’ ein Liedlein komponieren
In der Morgeneinsamkeit.
Erst doch legt’ er sein geliebtes
Schallzeug auf den Tisch der Laube,
Schaute sinnend in die Rheinflut
Von der Gartenmauerbrustung.
‘s ist doch, dacht’ er, immer noch der
Alte Zug in euch, ihr Wellen!
Nach dem Meere strebt ihr hastig,
Wie mein Herz nach seiner Liebe,
Und wer ist dem Ziele ferner,
Gruner Strom – du oder ich?
Solcherlei Gedankenrichtung
Unterbrach der Storch vom Turme,
Der anitzt zum ersten Male
Seine Brut am kuhlen Rheinstrand
Vaterstolz spazieren fuhrte.
‘s war ergotzlich anzuschauen,
Wie die alterfahrnen Storche
In den Ufersand sich schlichen,
Einem Aale aufzulauern,
Der verschiedentlich Gewurme
Mit Behagen dort verschlang.
Aber er, der so das Standrecht
An der kleinen Tierwelt ubte,
Sollte selbst bald Fruhstuck werden,
Denn der Grobe fribt den Kleinen,
Und der Grobte fribt den Groben:
Also lost in der Natur sich
Einfach die soziale Frage.
Nichts mehr half ihm seine Glatte,
Nichts des fetten Leibs Geringel,
Nichts sein tiefgefuhltes Schlagen
Mit dem ungeschuppten Schwanze:
Eingeklemmt im zahn’gen Schnabel
Des entschlossnen Storchenvaters
Ward er dessen hoffnungsvoller
Jugend vorgelegt zur Teilung,
Und sie hielten mit Geklapper
Wurdig ihren Morgenschmaus.
Dieses sonderbare Treiben
In der Nahe zu betrachten,
Stieg jung Werner, dem’s mit seiner
Arbeit nicht gefahrlich ernst war,
Aus dem Garten an den Rheinstrand.
Leise setzt er dort sich nieder
Auf der kafervollen Moosbank
Unterm Hang graugruner Weiden,
Und es war ihm eine Lust, der
Storchlichen Familienfreuden
Stiller Zeuge dort zu sein.
Aber jegliches Ergotzen
Wahrt nur kurz auf unserm Sterne;
Selbst dem stillvergnugt’sten Manne
Wirft das Schicksal tuckisch oft ‘nen
Meteorstein in die Suppe.
Kaum versenkt in jenes Schauspiel,
Mub jung Werner Tone horen
Aus der eigenen Trompete,
Die ihm wie Pandurenmesser
Schartig in die Seele schneiden.
“‘s ist der freche Gartnerjunge,
Der sich meines Horns bemachtigt,”
Zurnt jung Werner und erhebt sich
So ergrimmt von seinem Moossitz,
Dab die Storche in der Nahe
Jahlings auf dem Turme flattern,
Nicht einmal die Zeit sich nehmend,
Ihren Aal mit fortzutragen.
Als ein armer Torso blieb er
Klaglich dort am Strande liegen,
Und es schweigen die Chronisten,
Ob der kluge Storchenvater
Wieder kam, ihn nachzuholen.
Werner klimmt indes zum Garten,
Eilt zur grunen Gartenlaube
Auf den samtnen Rasenbeeten,
Dab der Kieselwege Drohnen
Dort sein Kommen nicht verrate.
Denn auf frischer Tat erwischen
Will er den verwegnen Jungen
Und auf seines Ruckens Breite
Zur Musik den Dreitakt schlagen.
Also tritt er in die Laube,
Zornvoll schon die Hand gehoben,
Aber wie geruhrt vom Blitzstrahl
Sinkt sie an der Huft’ ihm nieder,
Und der Faustschlag blieb, so wie die
Deutsche Einheit und manch andres,
Nur ein schon gedacht Projekt.
Margareten mub er schauen,
Die Trompete an den Lippen
Und die Wangen aufgeblasen
Wie der kleine holzgeschnitzte
Zierliche Posaunenengel
In der Kirche Fridolini.
Sie erschrickt als wie ein Strauchdieb,
Der in Nachbars Hof ertappt wird,
Die Trompete fallt ihr jahlings
Von der Lippe bluhndem Rand.
Werner mildert die Verwirrung
Durch ein feines Wortgewinde,
Und schulmeisterlich beginnt er
Der Trompetung Anfangsgrunde
Regelrecht und ernst bemessen
Jetzt dem Fraulein darzutun,
Zeigt die Griffe, zeigt das Hauchrohr,
Und wie beides zu bemeistern,
Dab der rechte Ton sich aufschwingt.
Margareta horcht gelehrig,
Und eh’ sie’s versehn, erweckt ihr
Hauch schon wieder neue Klange
Der Trompete, die jung Werner
Ihr, sich leicht verneigend, darreicht.
Spielend lehrt er sie, was einstmals
Ihres Vaters Kurassiere
In der Schlacht zum Angriff bliesen:
Nur ein paar unschwere Tone,
Aber markig und bedeutsam.
Liebe ist von allen Lehrern
Der geschwindeste auf Erden,
Was oft Jahre ehrnen Fleibes
Nicht erreichen, das gewinnt sie
Mit dem Zauber einer Bitte,
Mit der Mahnung eines Blicks;
Selbst ein niederland’scher Grobschmied
Ist ja einstens durch die Liebe
Noch in vorgeruckten Jahren
In beruhmter Maler worden.
Glucklich Lehren – glucklich Lernen
In der grunen Geibblattlaube!
‘s war, als stund’ des deutschen Reiches
Letztes Heil auf dem Begreifen
Dieses alten Reiterliedes,
Und doch ging durch ihre Seelen
Ganz ‘ne andre Melodie:
Jenes sube, schopfungsalte
Lied der ersten jungen Liebe.
Zwar ein Lied noch ohne Worte,
Doch sie ahnten seinen Inhalt,
Und sie bargen unter Scherzen
Dieser Ahnung Seligkeit.
Von den Tonen angefochten,
Kam der Freiherr, Rundschau haltend,
Wollte zurnen, doch es wandelt
Bald der Grimm in heitre Lust sich,
Da sein Kind ihm die Fanfare
Seiner alten Reiter blies.
Heiter sprach er zu jung Werner:
“Ihr entfaltet ja in Eurem
Kunstberuf ‘nen Feuereifer.
Wenn das so fortgeht, so konnen
Wir noch Wunderding’ erleben:
Selbst die Stalltur, die im Zugwind
Unmelodisch knarrt und stohnet,
Selbst die Frosch’ im Wiesenteiche
Werden noch am End’ von Eures
Blasens Allgewalt bekehrt.”
Werner aber hielt hinfuro
Die Trompete fur ein Kleinod,
Das der reichste Basler Kaufherr
Mit dem schwersten Basler Geldsack
Nicht vermocht’ ihm abzukaufen:
Hatten Margaretas Lippen
Ja die Strahlende beruhrt!