Gesichter
Viele Gesichter trug ich, viele Gesichter
waren zu tragen mir auferlegt.
Wenn ich lachte, war oft die Haut nur
vom Lachen bewegt.
Irrsinniges Weinen sprang
mir um die Lippen –
aber ich habe gelacht.
Habe mein Gesicht zum Lachen gebracht.
In den Bergen habe ich mein Gesicht versteckt.
Wenn es Fruhling wird, singt es im Wald.
Die Stadt aber hat mich mit Hausern bedeckt
und mit Asphalt.
In dem Musikcafe einer kleinen Stadt,
die funfundzwanzigtausend Einwohner hat,
sitzt ein Madchen, roten Mohn an die Wangen geschminkt,
sie hat jedem Reisenden, der kam,
mit den Augen zugewinkt.
Sie war ganz in Schwarz gekleidet,
trug einen weiben Spitzenkragen.
Ihr Gesicht war Widerschein
der vielen Gesichter, die auf ihr lagen.
Ich glaubte damals, die Huren seien gefallene Engel,
von Gott in die Gruft der Stadte versenkt.
Ihre Gesichter, wenn sie auch stumm sind, schreien.
Sie sind mit unsichtbaren Schleiern behangt.
Vieler Menschen Gesichter
haben meinem Gesicht sich eingedruckt.
Mein Gesicht zersprang mir
Stuck fur Stuck.
Oft sah ich es nachts in den Straben an mir vorubertreiben
und vor erleuchteten Schaufenstern stehen bleiben:
“Du, mein Gesicht!”
Aber es erkannte mich nicht.
Meine Augen trugen sie mir davon,
sie haben auch meinen Mund mitgenommen –
lange schon,
bevor ich in diese Stadt gekommen,
haben sie in der Schule mir
in das Gesicht geschlagen,
und die vielen Toten, denen ich in das Gesicht geschaut,
haben ihr Gesicht in mein Gesicht hinein getragen.