Abendlied
Und wenn sich einst die Seele schliebt
Wie diese Abendblume;
Wenn Alles um sie Dammrung ist
Von Lebens Licht und Ruhme,
Und ihre letzten Blick’ umher
Ihr kalte Schatten scheinen:
O Jungling, wirst Du auch so schwer
Wie diese Blume weinen?
War Deiner holden Jugend Saft
In ode Luft verhauchet,
Verbluht die Bluthe, Lebenskraft
Auf immer mibgebrauchet,
Und Deine letzten Blick’ umher
Dich alle reuentfarben:
O Jungling, bleibt Dir etwas mehr,
Als trostverschmachtet sterben?
Macht Seine grobe Allmacht je
Geschehnes ungeschehen?
Und stillt sie auch das tiefe Weh,
Sich selbst beschamt zu sehen?
Und wachst und wachst nicht jeder That
Der Keim so tief verborgen?
Wer giebt, wer schafft mir neuen Rath,
Noch einen Jugendmorgen?
Und, holder Schlaf, den schaffest Du,
Giebst neuen Jugendmorgen,
Bist Labetrunk und Schattenruh,
Bist Labsal aller Sorgen,
Bist Todesbruder! O wie schon
Sich Sein und Nichtsein grenzen!
Wie frisch wird meine Abendthran’
Am fruhen Morgen glanzen!
Und nach dem Tod – es wird uns sein
Als nach des Rausches Schlummer:
Verrauscht, verschlummert Lebenspein
Und Schmerz und Reu und Kummer.
O Tod, o Schlaf, der Dich erfand,
Erfand der Menschheit Segen;
Breit’ aus auf mich Dein Schlafgewand,
Zur Ruhe mich zu legen!
Denn was war’ unsre Lebenszeit,
Auch unsre Zeit der Freuden?
Ein Strudel von Muhseligkeit,
Ein Wirbel suber Leiden,
Ein ew’ger Taumel! Holder Schlaf,
Zu neuem Freudenmahle
Fur Alles, was auch heut mich traf,
Gieb mir die Labeschale!