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Das Gebet

Dein Heil, o Christ, nicht zu verscherzen,
Sei wach und nuchtern zum Gebet!
Ein Flehn aus reinem guten Herzen
Hat Gott, dein Vater, nie verschmaht.
Erschein vor seinem Angesichte
Mit Dank, mit Demut, oft und gern,
Und prufe dich in seinem Lichte,
Und klage deine Not dem Herrn.

Welch Gluck, so hoch geehrt zu werden
Und im Gebet vor Gott zu stehn!
Der Herr des Himmels und der Erden,
Bedarf der eines Menschen Flehn?
Sagt Gott nicht: Bittet, dab ihr nehmet?
Ist des Gebetes Frucht nicht dein?
Wer sich der Pflicht zu beten schamet,
Der schamt sich, Gottes Freund zu sein.

Sein Gluck von seinem Gott begehren,
Ist dies denn eine schwere Pflicht?
Und seine Wunsche Gott erklaren,
Erhebt dies unsre Seele nicht?
Sich in der Furcht des Hochsten starken,
In dem Vertraun, dab Gott uns liebt,
Im Fleib zu allen guten Werken,
Ist diese Pflicht fur dich betrubt?

Bet oft in Einfalt deiner Seelen;
Gott sieht aufs Herz, Gott ist ein Geist.
Wie konnen dir die Worte fehlen,
Wofern dein Herz dich beten heibt?
Nicht Tone sind’s, die Gott gefallen,
Nicht Worte, die die Kunst gebeut.
Gott ist kein Mensch. Ein glaubig Lallen,
Das ist vor ihm Beredsamkeit.

Wer das, was uns zum Frieden dienet,
Im Glauben sucht, der ehret Gott.
Wer das zu bitten sich erkuhnet,
Was er nicht wunscht, entehret Gott.
Wer taglich Gott die Treue schworet,
Und dann vergibt, was er beschwur;
Und klagt, dab Gott ihn nicht erhoret,
Der spottet seines Schopfers nur.

Bet oft zu Gott, und schmeck in Freuden,
Wie freundlich er, dein Vater, ist.
Bet oft zu Gott, und fuhl in Leiden,
Wie gottlich er das Leid versubt.
Bet oft, wenn dich Versuchung qualet;
Gott hort’s, Gott ist’s, der Hulfe schafft.
Bet oft, wenn innrer Trost dir fehlet;
Er gibt den Muden Stark und Kraft.

Bet oft, und heiter im Gemute
Schau dich an seinen Wundern satt.
Schau auf den Ernst, schau auf die Gute,
Mit der er dich geleitet hat.
Hier irrtest du in deiner Jugend,
Im Alter dort. Er trug Geduld,
Rief dich durch Gluck und Kreuz zur Tugend;
Erkenn und fuhle seine Huld.

Bet oft, und schau mit selgen Blicken
Hin in des Ewigen Gezelt,
Und schmeck im glaubigen Entzucken
Die Krafte der zukunftgen Welt.
Ein Gluck von Millionen Jahren,
Welch Gluck! Doch ist’s von jenem Gluck,
Das dem der Herr wird offenbaren,
Der ihm hier dient, kein Augenblick.

Bet oft; durchschau mit heilgem Mute
Die herzliche Barmherzigkeit
Des, der mit seinem teuren Blute
Die Welt, der Sunder Welt befreit.
Nie wirst du dieses Werk ergrunden;
Nein, es ist eines Gottes Tat.
Erfreu dich ihrer, rein von Sunden,
Und ehr im Glauben Gottes Rat.

Bet oft; entdeck am stillen Orte
Gott ohne Zagen deinen Schmerz.
Er schliebt vom Herzen auf die Worte,
Nicht von den Worten auf das Herz.
Nicht dein gebognes Knie, nicht Tranen,
Nicht Worte, Seufzer, Psalm und Ton,
Nicht dein Gelubd ruhrt Gott; dein Sehnen,
Dein Glaub an ihn und seinen Sohn.

Bet oft; Gott wohnt an jeder Statte,
In keiner minder oder mehr.
Denk nicht: Wenn ich mit vielen bete:
So find ich eh bei Gott Gehor.
Gott ist kein Mensch. Ist dein Begehren
Gerecht und gut: so hort er’s gern.
Ist’s nicht gerecht: so gelten Zahren
Der ganzen Welt nichts vor dem Herrn.

Doch saume nicht, in den Gemeinen
Auch offentlich Gott anzuflehn,
Und seinen Namen mit den Seinen,
Mit seinen Brudern, zu erhohn;
Dein Herz voll Andacht zu entdecken,
Wie es dein Mitchrist dir entdeckt,
Und ihn zur Inbrunst zu erwecken,
Wie er zur Inbrunst dich erweckt.

Bist du ein Herr, dem andre dienen:
So sei ihr Beispiel, sei es stets,
Und feire taglich gern mit ihnen
Die selge Stunde des Gebets.
Nie schame dich des Heils der Seelen,
Die Gottes Hand dir anvertraut.
Kein Knecht des Hauses musse fehlen;
Er ist ein Christ, und werd erbaut!

Bet oft zu Gott fur deine Bruder,
Fur alle Menschen, als ihr Freund;
Denn wir sind eines Leibes Glieder;
Ein Glied davon ist auch dein Feind.
Bet oft; so wirst du Glauben halten,
Dich prufen, und das Bose scheun,
An Lieb und Eifer nicht erkalten,
Und gern zum Guten weise sein.

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Das Gebet - CHRISTIAN FURCHTEGOTT GELLERT