Betrachtung des Todes
Wie sicher lebt der Mensch, der Staub!
Sein Leben ist ein fallend Laub;
Und dennoch schmeichelt er sich gern,
Der Tag des Todes sei noch fern.
Der Jungling hofft des Greises Ziel,
Der Mann noch seiner Jahre viel,
Der Greis zu vielen noch ein Jahr,
Und keiner nimmt den Irrtum wahr.
Sprich nicht: Ich denk in Gluck und Not
Im Herzen oft an meinen Tod.
Der, den der Tod nicht weiser macht,
Hat nie mit Ernst an ihn gedacht.
Wir leben hier zur Ewigkeit,
Zu tun, was uns der Herr gebeut,
Und unsers Lebens kleinster Teil
Ist eine Frist zu unserm Heil.
Der Tod ruckt Seelen vor Gericht;
Da bringt Gott alles an das Licht,
Und macht, was hier verborgen war,
Den Rat der Herzen offenbar.
Drum da dein Tod dir taglich draut,
So sei doch wacker und bereit;
Pruf deinen Glauben, als ein Christ,
Ob er durch Liebe tatig ist.
Ein Seufzer in der letzten Not,
Ein Wunsch, durch des Erlosers Tod
Vor Gottes Thron gerecht zu sein,
Dies macht dich nicht von Sunden rein.
Ein Herz, das Gottes Stimme hort,
Ihr folgt, und sich vom Bosen kehrt;
Ein glaubig Herz, von Lieb erfullt,
Dies ist es, was in Christo gilt.
Die Heiligung erfordert Muh;
Du wirkst sie nicht, Gott wirket sie.
Du aber ringe stets nach ihr,
Als ware sie ein Werk von dir.
Der Ruf des Lebens, das du lebst,
Dein hochstes Ziel, nach dem du strebst,
Und deiner Tage Rechenschaft
Ist Tugend in des Glaubens Kraft.
Ihr alle seine Tage weihn,
Heibt eingedenk des Todes sein:
Und wachsen in der Heiligung,
Ist wahre Todserinnerung.
Wie oft vergeb ich diese Pflicht!
Herr, geh mit mir nicht ins Gericht;
Druck selbst des Todes Bild in mich,
Dab ich dir wandle wurdiglich;
Dab ich mein Herz mit jedem Tag
Vor dir, o Gott! erforschen mag,
Ob Liebe, Demut, Fried und Treu,
Die Frucht des Geistes, in ihm sei;
Dab ich zu dir um Gnade fleh,
Stets meiner Schwachheit widersteh,
Und einstens in des Glaubens Macht
Mit Freuden ruf: Es ist vollbracht!