Das Buch der Bilder. Die Blinde
DER FREMDE:
Du bist nicht bang, davon zu sprechen?
DIE BLINDE:
Nein.
Es ist so ferne. Das war eine andre.
Die damals sah, die laut und schauend lebte,
die starb.
DER FREMDE:
Und hatte einen schweren Tod?
DIE BLINDE:
Sterben ist Grausamkeit an Ahnungslosen.
Stark mub man sein, sogar wenn Fremdes stirbt.
DER FREMDE:
Sie war dir fremd?
DIE BLINDE:
– Oder: sie ists geworden.
Der Tod entfremdet selbst dem Kind die Mutter. –
Doch es war schrecklich in den ersten Tagen.
Am ganzen Leibe war ich wund. Die Welt,
die in den Dingen bluht und reift,
war mit den Wurzeln aus mir ausgerissen,
mit meinem Herzen (schien mir), und ich lag
wie aufgewuhlte Erde offen da und trank
den kalten Regen meiner Tranen,
der aus den toten Augen unaufhorlich
und leise stromte, wie aus leeren Himmeln,
wenn Gott gestorben ist, die Wolken lallen.
und mein Gehor war grob und allem offen.
Ich horte Dinge, die nicht horbar sind:
die Zeit, die uber meine Haare flob,
die Stille, die in zarten Glasern klang, –
und fuhlte: nah bei meinen Handen ging
der Atem einer groben weiben Rose.
Und immer wieder dacht ich: Nacht und: Nacht
und glaubte einen hellen Streif zu sehn,
der wachsen wurde wie ein Tag;
und glaubte auf den Morgen zuzugehn,
der langst in meinen Handen lag.
Die Mutter weckt ich, wenn der Schlaf mir schwer
hinunterfiel vom dunklen Gesicht,
der Mutter rief ich: “Du, komm her!
Mach Licht!”
Und horchte. Lange, lange blieb es still,
und meine Kissen fuhlte ich versteinen, –
dann wars, als sah ich etwas scheinen:
das war der Mutter wehes Weinen,
an das ich nicht mehr denken will.
Mach Licht! Mach Licht! Ich schrie es oft im Traum:
Der Raum ist eingefallen. Nimm den Raum
mir vom Gesicht und von der Brust.
Du mubt ihn heben, hochheben,
mubt ihn wieder den Sternen geben;
ich kann nicht leben so, mit dem Himmel auf mir.
Aber sprech ich zu dir, Mutter?
Oder zu wem denn? Wer ist denn dahinter?
Wer ist denn hinter dem Vorhang? – Winter?
Mutter: Sturm? Mutter: Nacht? Sag!
Oder: Tag?…….Tag!
Ohne mich! Wie kann es denn ohne mich Tag sein?
Fehl ich denn nirgends?
Fragt denn niemand nach mir?
Sind wir denn ganz vergessen?
Wir?…….Aber du bist ja dort;
du hast ja noch alles, nicht?
Um dein Gesicht sind noch alle Dinge bemuht,
ihm wohlzutun.
Wenn deine Augen ruhn
und wenn sie noch so mud waren,
sie konnen wieder steigen.
… Meine schweigen.
Meine Blumen werden die Farbe verlieren.
Meine Spiegel werden zufrieren.
In meinen Buchern werden die Zeilen verwachsen.
Meine Vogel werden in den Gassen
herumflattern und sich an fremden Fenstern
verwunden.
Nichts ist mehr mit mir verbunden.
Ich bin von allem verlassen. –
Ich bin eine Insel.
DER FREMDE:
Und ich bin uber das Meer gekommen.
DIE BLINDE:
Wie? Auf die Insel?… Hergekommen?
DER FREMDE:
Ich bin noch im Kahne.
Ich habe ihn leise angelegt –
an dich. Er ist bewegt:
seine Fahne weht landein.
DIE BLINDE:
Ich bin eine Insel und allein.
Ich bin reich. –
Zuerst, als die alten Wege noch waren
in meinen Nerven, ausgefahren
von vielem Gebrauch:
da litt ich auch.
Alles ging mir aus dem Herzen fort,
ich wubte erst nicht wohin;
aber dann fand ich sie alle dort,
alle Gefuhle, das, was ich bin,
stand versammelt und drangte und schrie
an den vermauerten Augen, die sich nicht ruhrten.
Alle meine verfuhrten Gefuhle…
Ich weib nicht, ob sie Jahre so standen,
aber ich weib von den Wochen,
da sie alle zuruckkamen gebrochen
und niemanden erkannten.
Dann wuchs der Weg zu den Augen zu.
Ich weib ihn nicht mehr.
Jetzt geht alles in mir umher,
sicher und sorglos; wie Genesende
gehn die Gefuhle, geniebend das Gehn,
durch meines Leibes dunkles Haus.
Einige sind Lesende
uber Erinnerungen;
aber die jungen
sehn alle hinaus.
Denn wo sie hintreten an meinen Rand,
ist mein Gewand von Glas.
Meine Stirne sieht, meine Hand las
Gedichte in anderen Handen.
Mein Fub spricht mit den Steinen, die er betritt,
meine Stimme nimmt jeder Vogel mit
aus den taglichen Wanden.
Ich mub nichts mehr entbehren jetzt,
alle Farben sind ubersetzt
in Gerausch und Geruch.
Und sie klingen unendlich schon
als Tone.
Was soll mir ein Buch?
In den Baumen blattert der Wind;
und ich weib, was dorten fur Worte sind,
und wiederhole sie manchmal leis.
Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
findet meine Augen nicht…..
DER FREMDE leise:
Ich weib.