Der Trompeter von Sakkingen 15. Stuck
Sengend lag die Glut des Sommers
Über Rom, der alten Weltstadt;
Trage walzt’ der Tibris seine
Blonden Wellen; walzt’ sie mehr aus
Pflichterfullung, weil es einmal
Sein Beruf als Strom so mitbringt,
Als aus innerm Triebe durch die
Zitternd heibe Luft dem Meer zu.
Unten tief im Wellengrunde
Sab der Alte, und er brummte:
“O wie langsam spinnt die Zeit sich!
Ich bin mud’, wann kommt das Ende
Dieses monotonen Treibens?
Wannen wird die Meeressturmflut
Dieses Stucklein Erd’ verschlingen
Und die Bache und die Flusse,
Und auch mich, den Stromesalten,
Insgesamt zum all und einz’gen
Weltenwasser in sich fassen?
Selbst die Mauern dieser Roma
Zu bespulen macht mir Langweil,
Und was frommt’s, dab man den Boden
Und mich selber klassisch nennt?
Hingeschwunden, Staub und Asche
Sind die heitern Romersanger,
Die, den Lorbeer auf dem Haupte
Und den Rhythmus tief im Herzen,
Einstens meinen Ruhm gesungen;
Andre kamen, und sie gingen
Wie die ersten, und so wird’s noch
Lang dasselbe Schattenspiel sein.
‘s gilt mir gleich; doch wer berechtigt
Die da droben, mich zu storen?
O was haben diese Menschen
Schon in meine stillen Tiefen
Rucksichtslos hinabgeschleudert!
Wo mir sonst mit heil’gem Schilfe
Einen Pfuhl fur die Siesta
Meine Nymphen hergerichtet,
Allda liegt nur Schutt und Trummer:
Romerhelme, Gallierschwerter,
Alt-Etrurisch Prachtgerate
Und die schonen Marmorbilder,
Die vom Grabmal Hadriani
Einst auf schwere Gotenschadel
Niederkrachten, – samt den Knochen
Der Verteid’ger und der Sturmer,
Gleich als war’ mein Strombett eine
Welthistor’sche Rumpelkammer.
O wie bin ich satt und mude;
Alte Welt, wann kommt das Ende?”
– Wahrend so der biedre Tibris
Seinem Groll in mibzufriednem
Rasonieren ein’ge Luft macht’,
Wogte oben buntes Leben,
Und im Feierkleide zog die
Menge nach dem Vatikan.
Kaum war auf der Engelsbrucke
Raum fur alle; drangend kamen
Die Signori in dem span’schen
Mantel mit Peruck’ und Degen,
Schwarze Franziskaner-Monche
Mit den braunen Kapuzinern,
Rom’sche Burger, – da und dort ein
Sonnverbrannter wilder Hirte
Der Campagna, mit antikem
Stolz die Lumpen umgeschlagen, –
Und dazwischen, leichten Ganges,
Wandelten die Tochter Romas
Schwarzverschleiert, doch der Schleier
Hemmt nicht ihre kecken Blicke.
(O was ist die Glut der Sonne,
War’ sie auch von kund’gem Meister
Im Brennspiegel aufgefangen,
Gegen diese rom’schen Blicke?
Schweig, du mein versengtes Herz!)
Von der Engelsburg hernieder
Flattern wallend die Standarten
Mit den papstlichen Insignien:
Mitra und gekreuzten Schlusseln,
Kundend, dab heut hoher Festtag
Des Apostelfursten Petrus.
Vor Sankt Peters stolzem Dome
Sprangen schaumend die Fontanen,
Regenbogenfarben spruhten
Über den granitnen Schalen
Und, ein fremder Riese, schaut des
Konigs Rhamses Obeliskus
Zu der Menschen Wimmeln nieder.
Und er klagte auf agyptisch:
“Unklar Volk, das Volk der Romer!
Kaum verstand ich, was sie einst zu
Kaiser Neros Zeit getrieben,
Jetzt versteh’ ich’s noch viel wen’ger.
Aber soviel weib ich, dab es
In Italien frierend kalt ist.
Amun-Rè, du Gott der Sonne,
Komm und trage mich von hinnen,
Trag mich heim zu deinem Tempel
In den heiben Sand von Theben!
Amun-Rè, du Gott der Sonne,
Trag mich heim zur alten Freundin,
Zu der Sphinx, und lab mich wieder
Durch die Wustenglut des Memnon
Klingend Steingebet vernehmen!”
Auf des Vatikanes Stieg’ und
Durch die hohen Kolonnaden
Schritten Schweizer Hellbardiere,
Wache haltend auf und nieder.
Klirrend drohnt der Widerhall der
Schweren Schritte durch die Raume.
Zu dem grauen Korporal sprach
Traurig dort ein junger Landsknecht:
“Schon zwar sind und stolz wir Schweizer,
Und kein andrer Kriegsmann schreitet
Also schmuck durch Romas Straben
In dem leichten Stahlkurasse,
In dem scharz-rot-gelben Leibwams;
Scheu verstohlen vom Balkone
Schaut nach uns manch feurig Auge,
Aber immer sehnt das Herz sich
Wie zu Strabburg auf der Schanze,
Bei des Alphorns leisem Blasen
Heimwarts, heimwarts in die Berge.
Gerne wurd’ ich alles missen:
Handgeld, Sold, die Silberskudi,
Selbst des heil’gen Vaters Segen,
Selbst den Wein von Orvieto,
Der so sub im Humpen perlt,
Konnt’ ich wieder am Pilatus
Durch Lawinensturz und Felsen
Auf des Gamstiers flucht’ger Fahrte
Als verwegner Weidmann ziehn,
Oder leis im Schein des Mondes
Über wurz’ge Alpenmatten
Schleichen nach der Sennhutt’ Lichtlein
Zu der Sennin, zu der blonden
Appenzeller Kunigundis,
Und hernach der Morgensonne
Freudig laut entgegenjodeln.
O Sankt Peter! auch die feine
Kirchenmusika vergab’ ich,
Hort’ ich wieder den bekannten
Einsam schrillen Hohlenpfiff des
Heimatlichen Murmeltiers!”
Auf Sankt Peters hohen Stufen
Standen dicht gedrangt die jungern
Eleganten Pflastertreter,
Must’rung haltend uber all die
Wagen und die Staatskarossen,
Die jetzt angefahren kamen.
“Seht ihr dort die Eminenza
Mit dem Vollmondsangesichte,
Mit dem Doppelkinn, – sie stutzt sich
Auf den gallonierten Diener?
‘s ist der Kardinal Borghese,
Der sab’ heut wohl lieber in der
Stille der Sabinerberge
Auf der luft’gen Villa, bei der
Landlich schonen Donna Baldi.
‘s ist ein feiner Herr, er liebt die
Klassiker, und insbesondre
Liebt er das Bukolische.”
“Wer ist doch,” so fragt ein andrer
“Dort der imposante Herre,
Seht ihr nicht? es hangt die guldne
Ehrenkette auf der Brust ihm,
Und er schuttelt die Perucke
Wie ein Zeus Olympikus?”
“Was? Ihr kennt ihn nicht?” erwidert
Drauf geschwatzig ihm ein Dritter,
“Ihn, den Kavalier Bernini?
Der das Pantheon verbessert,
Der der Peterskirche erst die
Rechte stolze Form gegeben
Und das guldne Tabernakel
Überm Grab des Heil’gen – ‘s kostet
Mehr als hunderttausend Skudi?
Zieht den Hut ab, seit die Welt steht
Sah sie keinen grobern Meister,
Sah sie – -” doch dem Redner klopft ein
Mann mit grauem Knebelbarte
Auf die Schulter, hohnisch sprach er:
“Herr, Ihr irrt Euch, seit die Welt steht,
Sah sie keinen grobern Pfuscher!
Das sag’ ich, Salvator Rosa!”
Wagen rasseln, voraus reiten
Diener, Uniformen glanzen,
Und mit stattlichem Gefolge
Schreitet eine alt’re Dame
Aufwarts zum Portal des Doms.
“Wie sie altert,” sprach drauf einer,
“Die Frau Konigin von Schweden.
Denkt’s Euch noch, wie wunderschon sie
War bei ihrem ersten Einzug?
Eine Blumenmauer stand das
Tor del Popolo geschmuckt und
Bis zu Ponte molle zog ihr
Grubend Romas Volk entgegen.
Weit hinab den Korso, bis zum
Venetianischen Palaste,
War des Jubelrufs kein Ende.
Seht ihr auch den kleinen Herrn dort
Mit dem Buckel? Eben niebt er.
Diesem ist sie sehr gewogen,
Die Frau Konigin Christina.
‘s ist ein grundgelahrtes Mannlein.
‘s ist der Philolog Naudaus.
Der weib, wie’s vor Zeiten zuging,
Und er selbst hat neulich einen
Echt antiken Saltarello
Druben bei dem Furst Corsini
Zur Belehrung vorgetanzt.
Die Gesellschaft lachte, dab man’s
Bis am Tiberufer horte.”
Unbeachtet im Gedrange
Kam jetzt ein schwerfall’ger Wagen,
Saben drin zwei schwarze Damen,
Doch der Pferde Zugel lenkt’ der
Treue Anton, sorgsam rief er:
“Platz, ihr Herren, fur die gnad’ge
Frau Abtissin und das Fraulein!”
Rief’s auf deutsch, die Romer lachten.
Mit erstaunten Augen sah er
In die fremde Welt, er sah auch
Das Gefolg der Schwedenfurstin,
Sah dort einen greisen Kutscher,
Murrisch sprach er von dem Bocke:
“Kenn’ ich dich, du alter Schwede?
Standst du nicht dereinst beim blauen
Regiment von Sudermannland?
Soll ich mich vielleicht noch fur den
Hieb in Arm bei dir bedanken,
Den du in der Schlacht bei Nurnberg
Freundlichst mir verabreicht hast?
‘s ist doch ein merkwurd’ger Landstrich,
Dieses Rom, – viel langstvergessne
Freund’ und Feinde sieht man wieder!”
– Auf italischem Boden grubet
Jetzt der Sang schon Margareta;
Gerne mocht der blassen Jungfrau
Er des Sudens schonste Bluten
Auf den Pfad streun, dab ein Lacheln
Übers ernste Antlitz floge,
Doch seit Werner aus dem Schlob ritt,
War der Scherz ein seltner Gast ihr.
Einmal noch sah man sie lachen,
Als der schwab’sche Junker ankam,
Aber ‘s war ein herbes Lachen,
Herb, wie von der Mandolin der
Klagton der gesprungnen Saite.
Und der Junker ritt nach Hause
Ledig, wie er ausgeritten.
Schweigend harmte sich die Holde,
Harmte Monde sich und Jahre,
Und teilnehmend sprach zum Freiherrn
Drauf die alte Furstabtissin:
“Euer Kind gedeiht nicht mehr auf
Unserm Boden, langsam welkt das
Arme Herz in seinem Kummer.
Heilsam ist ‘ne Luftverand’rung,
Labt mit mir drum Margareta
Nach Italien; mub ich doch in
Alten Tagen noch nach Rom gehn.
Denn in Chur der bose Bischof
Droht des Stiftes schonste Guter
In der Schweiz an sich zu ziehn,
Und ich werd’ ihn jetzt verklagen,
Werd’ dem heil’gen Vater sagen:
Seid mir gnadig und bestraft den
Groben Bischof von Graubunden.”
Sprach der Freiherr: “Nehmt sie denn, und
Geb’ der Himmel seinen Segen,
Dab Ihr mir mit roten Wangen
Und vergnugt mein Kind nach Haus bringt.”
Also fuhren sie nach Welschland,
Es kutschiert’ der treue Anton.
Jetzo offnet er des Wagens
Schlag und nach der Peterskirche
Schritt die alte Furstabtissin,
Ihr zur Seite Margareta.
Staunend schaute sie die Pracht der
Ungeheuren Raume, drin die
Menschen klein wie Punkte aussehn,
Schaut die ries’gen Marmorpfeiler
Und die goldgeschmuckte Kuppel.
In des Mittelschiffes Nische
Steht Sankt Petrus ehrne Bildsaul’.
Diese trug heut einen ganzen
Papstornat, es schmiegte schwer der
Schwere Goldstoff um das Erz sich,
Auf dem Haupte sab die Mitra.
Und sie sahen, wie ein mancher
Dort den Fub des Standbilds kubte.
Zur Estrade am Altar, zum
Ehrensitz der fremden Gaste
Fuhrte drauf ein Kammerherr des
Papsts die beiden deutschen Damen.
Jetzo klang Musik und durch die
Seitentur vom Vatikan her
Hielt der heil’ge Vater seinen
Einzug in die Peterskirche.
Stamm’ge Schweizer Hellbardiere
Schritten an des Zuges Spitze,
Ihnen folgten der beruhmten
Papstlichen Kapelle Sanger.
Schwere Notenbucher trugen
Die Chorknaben, mancher schleppte
Muhsam nur den Foliantband.
Drauf in bunter Reihe kamen
Violette Monsignori,
Kamen Äbte und Pralaten
Und die Domherrn von Sankt Peter
Schweren Gangs – der fetten Pfrunde
War das Äubre auch entsprechend.
Zitternd an dem Stabe ging der
General der Kapuziner,
Eine Last von mehr als neunzig
Jahren ruhte auf den Schultern,
Doch im Haupte trug er noch manch
Jugendkuhnen Plan verborgen,
Mit den Franzikanern aus dem
Kloster Arca coeli kam der
Prior auch von Pallazzuola.
Am Albaner See, am schatt’gen
Waldabhang des Monte Cavo
Steht sein Klosterlein, es mag das
Herz dort stille Traume traumen;
In Gedanken schritt er selber,
Und, wer weib warum, sein Murmeln
Klang nicht wie Gebet, es klang wie:
“Fahre wohl Amalia!”
Drauf, ein auserlesen Hauflein,
Kam die Schar der Kardinale,
Weithin auf dem Marmorboden
Wallt’ des Purpurkleides Schleppe.
Herz, gedulde dich, so dacht’ der
Kardinal von Ottoboni,
Jetzt der zweiten einer, doch in
Weniger als sieben Jahren
Sitz’ ich selbst auf Petri Stuhl.
Dann ein Zug von Kavalieren,
Blank der Degen, militarisch
Ruckten sie in Reih’ und Glied an,
‘s war des Papstes Nobelgarde;
Und der heil’ge Vater selber
Nahte jetzt, – auf einem Throne
Trugen ihn der Diener acht,
Überm Haupte hielten Pagen
Ihm den Pfauenfederfacher.
Schneeweib war sein linnen Festkleid,
Segnend hob er seine Rechte,
Dran Sankt Peters Fischerring blitzt,
Und die Menge beugte stumm sich.
Angelangt am Hauptaltare
War der Zug jetzt und es hielt der
Papst das feierliche Hochamt
Über des Apostels Grab.
Feierlich und ernst erklang des
Chorgesangs ehrwurd’ge Weise,
Die der Meister Palestrina
Strengen Sinnes einst gesetzt,
Und die alte Furstabtissin
Betete in frommer Andacht.
Aber Margareta hob den
Blick, es klang ihr der Gesang als
Wie ein Ton von oben, und sie
Wollt’ empor zum Himmel schauen,
Doch das Auge haftet’ auf der
Sanger Loge, und sie bebte:
In der Sanger Mitte stand ein
Hoher Mann mit blonden Locken,
Halbverdeckt vom Marmorpfeiler.
Und sie schaute wieder aufwarts,
Schaute nicht mehr nach dem Papste,
Nicht mehr nach den Kardinalen,
Nicht mehr nach den neunundachtzig
Lampen uber Petri Grab. –
“Alter Traum, was kehrst du wieder?
Alter Traum, und was verfolgst du
Mich bis zu geweihter Statte?”
Leis verhallt der letzte Ton, es
War die Funktion beendet.
“Fraulein, und was seht Ihr blab aus?”
Sprach die alte Furstabtissin,
“Nehmt mein Flaschlein, ‘s wird Euch gut tun,
‘s ist wohlriechende Essenz drin
Aus der Klosterapotheke
Von San Marco zu Florenz.”
Jetzo schritt der Zug der Sanger
An der Damen Sitz voruber.
“Gott im Himmel, sei mir gnadig,
Ja, er ist’s! ich kenn’ die Narbe
Auf der Stirn, – es ist mein Werner!”
Trube ward’s vor Margaretas
Augen, – Herz, was schlagst du wilde?
Nimmer wollt’ der Fub sie tragen,
Und ohnmachtig sank die Jungfrau
Auf den kalten Marmorboden.