Freund Lenz
Aus fernen Wolken braust ein dumpfer Ton.
Die Donner sind es, so der Welt verkunden,
Dab wieder der Natur geliebter Sohn,
Der Fruhling, wandelt zu der Erde Grunden.
Bei andern Volkern hat er lang geweilt,
Da war’s, dab jungst die Kunde ihn ereilt,
Wir hier im Norden trugen heib Verlangen,
Aufs neu zu schauen seiner Blute Prangen.
Er kommt. Und aus des Sudens frohen Talen,
Wo traumend er im Lorbeerwalde lag,
Wo er zum Fest bei glutgefullten Schalen
Des Myrtenhaines vollste Kranze brach,
Wo mit dem Zephir er die Wangen kuhlte
Und buhlerisch in schwarzen Locken wuhlte –
Fern aus dem Suden hat er alle Pracht
Herauf jetzt in den Norden uns gebracht.
Er setzt sich lachelnd auf die Hugel hin –
Da weht ein Duften rings durch Fels und Auen,
Zum Forste lustig Falk und Taube ziehn,
Und Knospen rotlich aus den Garten schauen.
Der Bache Lauf schmuckt er mit lichtem Samt,
Es blitzt der Tau, hellauf die Sonne flammt –
Und nieder steigt er von den Hugelthronen
Hinab zum Tale, wo die Menschen wohnen
Mit ihrer Lust, mit ihrem bittern Leid,
Mit ihren Freuden, ach, und ihren Tranen,
Mit all dem Ringen, all dem herben Streit,
Mit all dem Hoffen, all dem stillen Sehnen.
Er ist’s, der in des Armen Hutte schaut,
Der zu ihm spricht, wenn kaum der Morgen graut:
“Getrost, wie deine Freuden auch zerstieben,
Dir Armen ist der Lenz noch treu geblieben!
Hinaus! Durch meine Blumen sollst du schreiten,
Ich labe dich mit meiner Walder Grun,
Durch Busch und Wiese will ich dich geleiten
Den Berg hinan, wo meine Rosen gluhn.
Ich zeige dir, wie nieder zu den Flachen
Befreit die Strome ihre Bahnen brechen,
Und wie der Nacht erbluht der Sterne Schein,
Zieh ich, der Lenz, in deine Seele ein!
Ich kusse deiner Kinder mude Stirnen,
Ob all ihr Glanz verloschen und verstaubt;
Ich will gleich der Lawine von den Firnen
Walzen den Gram von ihrer Mutter Haupt.
Und Feuer menge ich mit deinem Blute,
Dab bald die Hand, die nur am Pfluge ruhte,
Zum Schwerte greift und ringend im Gefecht
Von Schmach befreit ein unterdruckt Geschlecht!”