An das Fremdenbuch des Thalhofes zu Reichenau
Verfuhrerisches Tal von Reichenau!
Grobart’ge Phryne! riesig schon und auch
Vielleicht darum so hablich ungetreu,
Dab du den holden Leib, vom Mai geschwangert,
Des zarten Fruhlings ehlich’ Eigentum,
Dem ernsten Wandrer zum Genusse bietest
Und auch nach mir wollust’ge Blicke sendest,
Fur immer mich an deinen Reiz zu fesseln;
Leicht konnt’ es dir gelingen, kam’ ich nicht
Erst aus den Armen meines suben Lieb
(Dem still bescheidnen, frommen Gutenstein,)
Noch in Erinnrung schwelgend zu dir her,
Zwar kann ich dir Bewundrung nicht versagen,
Du forderst sie mit stolzem Ungestum.
Nicht ohne Recht. Wer wollte sich erkuhnen,
Verachtungsvoll den Blick von dir zu wenden,
Belauscht er unverschleiert deinen Reiz,
Und sieht, wie selbst mit gierigem Verlangen,
Gleich Greisen, die durch Jugendreiz entflammt,
Des Schneebergs und des Scheibwalds Blicke auf
Dich niederstieren? Nein! Verehrung zoll’
Ich dir, du upp’ge, anmutsreiche Schone!
Doch eben, weil dein Stolz mir Lieb’ gebietet,
Jauchzt mein Verstand, mein Herz zieht kalt von dir;
Nie labt sich wahre Lieb’ gebieterisch erringen,
Bescheidenheit allein kann uns zur Liebe zwingen.