An meinen Freund, den Dichter
Lieber Hans, verzeihe, dab ich heute dir erst
Antwort schicke deinem letzten langen Schreiben,
Aber Wichtigeres, wirst du auch nicht zanken,
Hatt’ ich vor in diesen Tagen, als den Klagen,
Klagen eines ungluckseligen deutschen Dichters,
Klagen, die mir nicht verstandlich, unbegreiflich,
Nachzuspinnen und mein ganzes Herz zu schenken.
Deshalb dacht’ ich: munter erst die Haferernte;
Dann auch mubt’ ich einen alten Bock abschieben,
Der die jungen wegstieb vom Beschlag der Ricken;
Endlich streckt’ ich jenen bosen Gabelgreis.
Auch in meiner neuen Branntweinbrennerei
Hatt’ ich emsig letzte Hande anzulegen.
Doch nun will ich mich dir widmen, Freund. Du schreibst:
“Eben wird mir von der hundertdritten Zeitschrift
Ein Gedicht zuruckgesendet mit den Worten:
›Sehr geehrter Herr, wir sehen uns genotigt,
Leider, und so weiter; doch wir sind gezwungen,
Rucksicht unserm Leserkreise, und so weiter.‹
Ist das, bester Alfred, nicht zum Rasendwerden.
Sind in Deutschland nur Familienmutter Richter?
Sind in Deutschland nur Familienblatter giltig?
Ist nicht greulich diese jammerliche Schlempe,
Die tagtaglich wir als ›Kunst‹genieben mussen?
Und zudem die torichten Beurteiler.
Oh, wie diese Herrn das Leben mir verbittern;
Niedertrachtiges Gelichter ist darunter.”
Alter Hans, bist du denn ganz verruckt geworden?
Schrieb ich dir nicht kurzlich meine Meinung schon
Über vaterland’sche schone Wissenschaft?
Fallt es heut wohl dem “Gebildeten” noch ein,
– Wird nicht irgendwo Geb”u”ldeter gesprochen –
Dramen und Erzahlungen, Novellen, Marchen,
Und gar, drehkrank werdend, Lyrik zu verschlucken?
Was denn klagst du? Spendest du nicht immer wieder
Bucher auf den Markt, um Hinz und Kunz zu laben.
Pfui, wie find ich das gemein: an jeden Menschen
Das verraten, was du innerlichst gefuhlt;
Deiner Seele Heiligtumer auszubreiten
Jedem Schufterle, ob er ein Laienbruder,
Ob Beurteiler er ist, ob Zunftgenosse.
Jedem dummen Laffen, jedem Norgelfritzen
Mubt du dich wie eine Dirne niederwerfen;
Pfui, wie find ich das gemein, mein lieber Hans.
Du, der vierzigtausend Mark als Rente hat,
Hast nicht notig, dich dem Pobel preiszugeben.
Nur fur dich allein lab deine “Sachen” drucken,
Tagebucher sind dir dann, Erinnerungen
Deine Verse; seufzend magst du sie durchblattern:
Dab die Jugendtage dir so eilig schwanden.
Aber – Eitelkeit, die labt euch nicht in Ruhe,
Alle Welt soll durchaus, soll und mub erfahren,
Welch ein “hehrer” Mordskerl solch ein Dichter ist.
Schame dich und nimm von mir den guten Rat an:
Fur die Zukunft schweige oder wenigstens
Lab in deinen Tempel andere nicht treten.
Warst du arm, ja, dann verstund’ ich dein Geschwatze:
Du versuchtest, Geld dir fur dein Werk zu tauschen,
Wenn dir auch bekannt, dab wir, die alten Deutschen,
Nimmermehr uns jene immergrunen Kranze
Aus den hellen blonden Locken rauben lassen:
Unsre Dichter in den Hungerturm zu sperren.
“Keiner hat mir dankend je die Hand gegeben
Fur ein gut Gedicht, das mir gelungen ware.
Wenn du wubtest, wenn du ahntest, wie das wohltut.
Wie das Brot dem Korper, ist der Dichterseele
Unbedingt notwendige Nahrung: Anerkennung.”
Bist du wirklich toll? Davon kann doch die Rede
Niemals sein in Deutschland; uberflussig ist es.
Offen dir gestanden, nichts fur ungut, Freundchen,
Stell ich, glaub ich, meinen Kammerdiener hoher
Als den Dichter; und so denken auch die andern
Guten Deutschen: Exzellenzen, Schneider, Gartner,
Burgermeister, Staatsanwalte, Bauern, Kramer,
Wagenbauer, Staatsminister, Sattler, Wirte,
Prinzen, Pfefferkuchler, Klempner, Wuchrer,
Scharfrichter, Matrosen, Priester, Karrenschieber,
Reichs – und Landtagsabgeordnete, Barone,
Droschkenkutscher, Seiler und Regierungsrate,
Und was sonst zusammenfallt in bunter Mischung
Unsres skatdurchtobten lieben Vaterlandes.
Auberdem, so bitt ich, lieg nur erst im Sarge,
Lab die Rosen erst auf deinem Hugel bluhen,
Lab den Weizen erst aus deinen Knochen wachsen,
Dann, ja dann vielleicht will ich dir funfzig Pfennig
Opfern, dab wir zum Gedenken eine Tafel
Dir errichten, irgendwo, wo du gewohnt hast.
Doch bis dahin, Guter, magst du dich bescheiden.
Anerkennung, sagst du, ist dem Dichter notig;
Dab er lechzt nach einem Wortchen nur des Lobes.
Seid ihr Dichter denn gefalligst andre Menschen?
Seid ihr etwa Schutzenbruder, Sangerfestler,
Denen jedes kleinste Eisenbahnrastortchen
Tausend Kranze wirft und tausend Hurras brullt?
Meinem Schuster zoll ich Anerkennung, wenn er
Mir den Stiefelsitz nach meinen Wunschen fertigt.
Einem Dichter? fur das alberne Gewasche,
Das ich niemals lese, soll ich auch noch schreien;
Schreien: Hoch! er lebe hoch und dreimal hoch!
Lacherlich! Viel eher klatsch ich in die Hande:
Folgt mein Blick den Gauklersprungen auf dem Seile.
Habt ihr aneinander vollig nicht genug:
Dab ihr gegenseitig euch die Hute schwenkt;
Bis zur Erde gegenseitig euch bewundert?
Allerdings, das will ich gern auch zugestehen,
Dab der Neid, dies sube, allerliebste Tierlein,
Dieses Tierlein mit den Augen uberall,
– Wie sie schielen, zwinkern bald, bald auf sich reiben –
Mehr in euren Hirnen seinen Frebsack findet
Als in allen anderen “Genossenschaften”.
“Wie gefallen meine Liebeslieder dir?”
Teurer, immer noch viel Sauselsummgezwitscher.
Einer fetten Grasung scheinst du sehr bedurftig;
Komm zu mir aufs Land und trinke Buttermilch,
Übermorgen wird die Huhnerjagd eroffnet.
Durch die Stoppeln, durch die braune Heide ziehen
Dann wir beide: Unterm Knickbusch schmeckt das Fruhstuck.
Gestern abend ging allein ich durch die Heide,
Und im Lilaschimmer stand die ganze Flache,
Blut’ an Blute, und dem Lilaschimmer schenkte
Stumpfen Glanz die Sonne, die zum muden Abschied
Sich versteckte hinter weibe Riesenwolken,
Deren Spitzen, gleich wie hochste Bergesgipfel,
Sie umrandete in Gold und roten Tinten.
Eben noch im dunkel-klaren Dammer hob sich
In der Schweigsamkeit der leeren Heidelandschaft
Eine einzige Fichte, und die Fichte schattet
Über das Geheimnis eines Hunengrabes.
Oft und oft hab ich dies Hunengrab besucht.
Sag ich: Hokuspokus; mach ich krause Zeichen:
Steigt empor der junge Konig Ringelhaar.
Seine flachsengelben Locken, die vom Streithelm
Kaum sich fesseln lassen, fluten um die Schultern.
Und sein blanker Streithelm ist ein kostlich Kunstwerk.
Einst trug Caracalla ihn auf seinen Borsten.
Spater raubte, dorthin war er wohl verschlagen,
Auf Sizilien ihn ein trotziger Nordlandsmann,
Der dem Konig Ringelhaar ihn, knieend, reichte. –
Und der Konig, nach gemessenster Verbeugung,
Sagt mir kindlich seine schweren Herzensleiden,
Dab er Merf, das schone Friesenmadchen liebe,
Und wie hart von ihr der Abschied sei gewesen,
Aber in den Kriegslarm hab er reiten mussen.
Und er richtet seinen Finger in die Heide:
Dort, in mahlich aufgestiegner Mondessichel,
Kampfen, blitzend, wogend, grobe Reitermassen,
Funkeln, blitzend, hinter ihnen, lange Spiebe,
Und nun hebt es an aus vielgewundnen Tuben,
Ganz barbarisch klingend, eine Schlachtmusik –
Doch schon tont sie sanfter und die lustigen Klange
Hor ich einer flinken Jagerkompagnie,
Die schnellfubig fernen Wegs voruberschreitet.
Und mich, traumend, an die Fichte lehnend,
Kreist um mich die friedumhalste Sommernacht
Eng und enger ihre stummen Zauberringe,
Einmal unterbrochen nur: Ein Rabe schwang sich
Klatschend aus den Zweigen und zog plump und dummdreist
Ostwarts in den keuschen fruhsten Rosenhimmel,
Wie der erste schwarze Sundgedanke einzieht
In die reine unberuhrte Morgenseele. –
Komm, Poetlein; komm und bringe deine Harfe,
Deine Lyra oder wie das Ding sich nennt,
Bring es mit auf diesen Hugel, singe, sing mir
Von der zarten, lieben Erika ein Lied.
Einen guten Tropfen hab ich auch im Keller;
Und nach Hamburg konnen, wenn du magst, wir fahren,
Das von meinem Hofe nur zwei Stunden fern liegt.
Dort, willst du dich meiner Fuhrung anvertrauen,
Weib ich tiefe Quellen wunderbarer Biere.
Auch gefallig findest du dort manches Madel:
So ein kleines Techtelmechtelchen am Arme
Ist fur einen Mondscheindichter ganz gesund.
Also komm zu mir und trinke Buttermilch.