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Die Alpen

Dieses Gedicht ist dasjenige, das mir am schwersten geworden ist. Es war die Frucht der groben Alpen-Reise, die ich An. 1728 mit dem jetzigen Herrn Canonico und Professor Gebner in Zurich getan hatte. Die starken Vorwurfe lagen mir lebhaft im Gedachtnis. Aber ich wahlte eine beschwerliche Art von Gedichten, die mir die Arbeit unnotig vergroberte. Die zehenzeilichten Strophen, die ich brauchte, zwangen mich, so viele besondere Gemalde zu machen, als ihrer selber waren, und allemal einen ganzen Vorwurf mit zehen Linien zu schlieben. Die Gewohnheit neuerer Zeiten, dab die Starke der Gedanken in der Strophe allemal gegen das Ende steigen mub, machte mir die Ausfuhrung noch schwerer. ich wandte die Nebenstunden vieler Monate zu diesen wenigen Reimen an, und da alles fertig war, gefiel mir sehr vieles nicht. Man sieht auch ohne mein Warnen noch viele Spuren des Lohensteinischen Geschmacks darin.

Versuchts, ihr Sterbliche, macht euren Zustand besser,
Braucht, was die Kunst erfand und die Natur euch gab;
Belebt die Blumen-Flur mit steigendem Gewasser,
Teilt nach Korinths Gesetz gehaune Felsen ab;
Umhangt die Marmor-Wand mit persischen Tapeten,
Speist Tunkins Nest aus Gold, trinkt Perlen aus Smaragd,
Schlaft ein beim Saitenspiel, erwachet bei Trompeten,
Raumt Klippen aus der Bahn, schliebt Lander ein zur Jagd;
Wird schon, was ihr gewunscht, das Schicksal unterschreiben,
Ihr werdet arm im Gluck, im Reichtum elend bleiben!
Wann Gold und Ehre sich zu Clives Dienst verbinden,
Keimt doch kein Funken Freud in dem verstorten Sinn.
Der Dinge Wert ist das, was wir davon empfinden;
Vor seiner teuren Last flieht er zum Tode hin.
Was hat ein Furst bevor, das einem Schafer fehlet?
Der Zepter ekelt ihm, wie dem sein Hirten-Stab.
Weh ihm, wann ihn der Geiz, wann ihn die Ehrsucht qualet,
Die Schar, die um ihn wacht, halt den Verdrub nicht ab.
Wann aber seinen Sinn gesetzte Stille wieget,
Entschlaft der minder sanft, der nicht auf Federn lieget?

Begluckte guldne Zeit, Geschenk der ersten Gute,
Oh, dab der Himmel dich so zeitig weggeruckt!
Nicht, weil die junge Welt in stetem Fruhling bluhte
Und nie ein scharfer Nord die Blumen abgepfluckt;
Nicht, weil freiwillig Korn die falben Felder deckte
Und Honig mit der Milch in dicken Stromen lief;
Nicht, weil kein kuhner Low die schwachen Hurden schreckte
Und ein verirrtes Lamm bei Wolfen sicher schlief;
Nein, weil der Mensch zum Gluck den Überflub nicht zahlte,
Ihm Notdurft Reichtum war und Gold zum Sorgen fehlte!

Ihr Schuler der Natur, ihr kennt noch guldne Zeiten!
Nicht zwar ein Dichterreich voll fabelhafter Pracht;
Wer mibt den aubern Glanz scheinbarer Eitelkeiten,
Wann Tugend Muh zur Lust und Armut glucklich macht?
Das Schicksal hat euch hier kein Tempe zugesprochen,
Die Wolken, die ihr trinkt, sind schwer von Reif und Strahl;
Der lange Winter kurzt des Fruhlings spate Wochen,
Und ein verewigt Eis umringt das kuhle Tal;
Doch eurer Sitten Wert hat alles das verbessert,
Der Elemente Neid hat euer Gluck vergrobert.

Wohl dir, vergnugtes Volk! o danke dem Geschicke,
Das dir der Laster Quell, den Überflub, versagt;
Dem, den sein Stand vergnugt, dient Armut selbst zum Glucke,
Da Pracht und Üppigkeit der Lander Stutze nagt.
Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zahlte,
War Brei der Helden Speis und Holz der Gotter Haus;
Als aber ihm das Mab von seinem Reichtum fehlte,
Trat bald der schwachste Feind den feigen Stolz in Graus.
Du aber hute dich, was Grobers zu begehren.
Solang die Einfalt daurt, wird auch der Wohlstand wahren.

Zwar die Natur bedeckt dein hartes Land mit Steinen,
Allein dein Pflug geht durch, und deine Saat errinnt;
Sie warf die Alpen auf, dich von der Welt zu zaunen,
Weil sich die Menschen selbst die grobten Plagen sind;
Dein Trank ist reine Flut und Milch die reichsten Speisen,
Doch Lust und Hunger legt auch Eicheln Wurze zu;
Der Berge tiefer Schacht gibt dir nur schwirrend Eisen,
Wie sehr wunscht Peru nicht, so arm zu sein als du!
Dann, wo die Freiheit herrscht, wird alle Muhe minder,
Die Felsen selbst beblumt und Boreas gelinder.

Gluckseliger Verlust von schadenvollen Gutern!
Der Reichtum hat kein Gut, das eurer Armut gleicht;
Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemutern,
Weil kein beglanzter Wahn euch Zweitrachtsapfel reicht;
Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,
Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht habt;
Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,
Die, was ihr notig, sucht und mehrers halt fur Last.
Was Epiktet getan und Seneca geschrieben,
Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen uben.

Hier herrscht kein Unterschied, den schlauer Stolz erfunden,
Der Tugend untertan und Laster edel macht;
Kein mubiger Verdrub verlangert hier die Stunden,
Die Arbeit fullt den Tag und Ruh besetzt die Nacht;
Hier labt kein hoher Geist sich von der Ehrsucht blenden,
Des Morgens Sorge fribt des Heutes Freude nie.
Die Freiheit teilt dem Volk, aus milden Mutter-Handen,
Mit immer gleichem Mab Vergnugen, Ruh und Muh.
Kein unzufriedner Sinn zankt sich mit seinem Glucke,
Man ibt, man schlaft, man liebt und danket dem Geschicke.

Zwar die Gelehrtheit feilscht hier nicht papierne Schatze,
Man mibt die Straben nicht zu Rom und zu Athen,
Man bindet die Vernunft an keine Schulgesetze,
Und niemand lehrt die Sonn in ihren Kreisen gehn.
O Witz! des Weisen Tand, wann hast du ihn vergnuget?
Er kennt den Bau der Welt und stirbt sich unbekannt;
Die Wollust wird bei ihm vergallt und nicht besieget,
Sein kunstlicher Geschmack beekelt seinen Stand;
Und hier hat die Natur die Lehre, recht zu leben,
Dem Menschen in das Herz und nicht ins Hirn gegeben.

Hier macht kein wechselnd Gluck die Zeiten unterschieden,
Die Tranen folgen nicht auf kurze Freudigkeit;
Das Leben rinnt dahin in ungestortem Frieden,
Heut ist wie gestern war und morgen wird wie heut.
Kein ungewohnter Fall bezeichnet hier die Tage,
Kein Unstern malt sie schwarz, kein schwulstig Glucke rot.
Der Jahre Lust und Muh ruhn stets auf gleicher Waage,
Des Lebens Staffeln sind nichts als Geburt und Tod.
Nur hat die Frohlichkeit bisweilen wenig Stunden
Dem unverdrobnen Volk nicht ohne Muh entwunden.

Wann durch die schwule Luft gedampfte Winde streichen
Und ein begeistert Blut in jungen Adern gluht,
So sammlet sich ein Dorf im Schatten breiter Eichen,
Wo Kunst und Anmut sich um Lieb und Lob bemuht.
Hier ringt ein kuhnes Paar, vermahlt den Ernst dem Spiele,
Umwindet Leib um Leib und schlinget Huft um Huft.
Dort fliegt ein schwerer Stein nach dem gesteckten Ziele,
Von starker Hand beseelt, durch die zertrennte Luft.
Den aber fuhrt die Lust, was Edlers zu beginnen,
Zu einer muntern Schar von jungen Schaferinnen.

Dort eilt ein schnelles Blei in das entfernte Weibe,
Das blitzt und Luft und Ziel im gleichen jetzt durchbohrt;
Hier rollt ein runder Ball in dem bestimmten Gleise
Nach dem erwahlten Zweck mit langen Satzen fort.
Dort tanzt ein bunter Ring mit umgeschlungnen Handen
In dem zertretnen Gras bei einer Dorf-Schalmei:
Und lehrt sie nicht die Kunst, sich nach dem Takte wenden,
So legt die Frohlichkeit doch ihnen Flugel bei.
Das graue Alter dort sitzt hin in langen Reihen,
Sich an der Kinder Lust noch einmal zu erfreuen.

Denn hier, wo die Natur allein Gesetze gibet,
Umschliebt kein harter Zwang der Liebe holdes Reich.
Was liebenswurdig ist, wird ohne Scheu geliebet,
Verdienst macht alles wert und Liebe macht es gleich.
Die Anmut wird hier auch in Armen schon gefunden,
Man wiegt die Gunst hier nicht fur schwere Kisten hin,
Die Ehrsucht teilet nie, was Wert und Huld verbunden,
Die Staatssucht macht sich nicht zur Unglucks-Kupplerin:
Die Liebe brennt hier frei und scheut kein Donnerwetter,
Man liebet fur sich selbst und nicht fur seine Vater.

Sobald ein junger Hirt die sanfte Glut empfunden,
Die leicht ein schmachtend Aug in muntern Geistern schurt,
So wird des Schafers Mund von keiner Furcht gebunden,
Ein ungeheuchelt Wort bekennet, was ihn ruhrt;
Sie hort ihn und, verdient sein Brand ihr Herz zum Lohne,
So sagt sie, was sie fuhlt, und tut, wornach sie strebt;
Dann zarte Regung dient den Schonen nicht zum Hohne,
Die aus der Anmut fliebt und durch die Tugend lebt.
Verzuge falscher Zucht, der wahren Keuschheit Affen,
Der Hochmut hat euch nur zu unsrer Qual geschaffen!

Die Sehnsucht wird hier nicht mit eitler Pracht belastigt!
Er liebet sie, sie ihn, dies macht den Heirat-Schlub.
Die Eh wird oft durch nichts als beider Treu befestigt,
Fur Schwure dient ein Ja, das Siegel ist ein Kub.
Die holde Nachtigall grubt sie von nahen Zweigen,
Die Wollust deckt ihr Bett auf sanft geschwollnes Moos,
Zum Vorhang dient ein Baum, die Einsamkeit zum Zeugen,
Die Liebe fuhrt die Braut in ihres Hirten Schob.
O dreimal seligs Paar! Euch mub ein Furst beneiden,
Dann Liebe balsamt Gras und Ekel herrscht auf Seiden.

Hier bleibt das Ehbett rein; man dinget keine Huter,
Weil Keuschheit und Vernunft darum zu Wache stehn;
Ihr Vorwitz spahet nicht auf unerlaubte Guter,
Was man geliebet, bleibt auch beim Besitze schon.
Der keuschen Liebe Hand streut selbst auf Arbeit Rosen,
Wer fur sein Liebstes sorgt, findt Reiz in jeder Pflicht,
Und lernt man nicht die Kunst, nach Regeln liebzukosen,
So klingt auch Stammeln sub, ists nur das Herz, das spricht.
Der Eintracht hold Geleit, Gefalligkeit und Scherzen
Belebet ihre Kuss’ und knupft das Band der Herzen.

Entfernt vom eiteln Tand der muhsamen Geschafte
Wohnt hier die Seelen-Ruh und flieht der Stadte Rauch;
Ihr tatig Leben starkt der Leiber reife Krafte,
Der trage Mubiggang schwellt niemals ihren Bauch.
Die Arbeit weckt sie auf und stillet ihr Gemute,
Die Lust macht sie gering und die Gesundheit leidet;
In ihren Adern fliebt ein unverfalscht Geblute,
Darin kein erblich Gift von siechen Vatern schleicht,
Das Kummer nicht vergallt, kein fremder Wein befeuret,
Kein geiles Eiter fault, kein welscher Koch versauret.

Sobald der rauhe Nord der Lufte Reich verlieret
Und ein belebter Saft in alle Wesen dringt,
Wann sich der Erde Schob mit neuem Schmucke zieret,
Den ihr ein holder West auf lauen Flugeln bringt,
Sobald flieht auch das Volk aus den verhabten Grunden,
Woraus noch kaum der Schnee mit truben Stromen fliebt,
Und eilt den Alpen zu, das erste Gras zu finden,
Wo kaum noch durch das Eis der Krauter Spitze spriebt;
Das Vieh verlabt den Stall und grubt den Berg mit Freuden,
Den Fruhling und Natur zu seinem Nutzen kleiden.

Wenn kaum die Lerchen noch den fruhen Tag begruben
Und uns das Licht der Welt die ersten Blicke gibt,
Entreibt der Hirt sich schon aus seiner Liebsten Kussen,
Die seines Abschieds Zeit zwar habt, doch nicht verschiebt.
Dort drangt ein trager Schwarm von schwerbeleibten Kuhen,
Mit freudigem Gebrull, sich im betauten Steg;
Sie irren langsam hin, wo Klee und Muttern bluhen,
Und mahn das zarte Gras mit scharfen Zungen weg;
Er aber setzet sich bei einem Wasser-Falle
Und ruft mit seinem Horn dem lauten Widerhalle.

Wann der entfernte Strahl die Schatten dann verlangert
Und nun das mude Licht sich senkt in kuhle Ruh,
So eilt die satte Schar, von Überflub geschwangert,
Mit schwarmendem Geblok gewohnten Stallen zu.
Die Hirtin grubt den Mann, der sie mit Lust erblicket,
Der Kinder muntrer Schwarm frohlockt und spielt um ihn,
Und ist der sube Schaum der Euter ausgedrucket,
So sitzt das frohe Paar zu schlechten Speisen hin.
Begierd und Hunger wurzt, was Einfalt zubereitet,
Bis Schlaf und Liebe sie umarmt ins Bett begleitet.

Wann von der Sonne Macht die Wiesen sich entzunden
Und in dem falben Gras des Volkes Hoffnung reift,
So eilt der muntre Hirt nach den betauten Grunden,
Eh noch Aurorens Gold der Berge Hoh durchstreift.
Aus ihrem holden Reich wird Flora nun verdranget,
Den Schmuck der Erde fallt der Sense krummer Lauf,
Ein lieblicher Geruch, aus tausenden vermenget,
Steigt aus der bunten Reih gehaufter Krauter auf;
Der Ochsen schwerer Schritt fuhrt ihre Winter-Speise,
Und ein frohlockend Lied begleitet ihre Reise.

Bald, wann der trube Herbst die falben Blatter pflucket
Und sich die kuhle Luft in graue Nebel hullt,
So wird der Erde Schob mit neuer Zier geschmucket,
An Pracht und Blumen arm, mit Nutzen angefullt;
Des Fruhlings Augen-Lust weicht nutzlicherm Vergnugen,
Die Fruchte funkeln da, wo vor die Blute stund:
Der Apfel reifes Gold, durchstriemt mit Purpur-Zugen,
Beugt den gestutzten Ast und nahert sich dem Mund.
Der Birnen sub Geschlecht, die Honig-reiche Pflaume
Reizt ihres Meisters Hand und wartet an dem Baume.

Zwar hier bekranzt der Herbst die Hugel nicht mit Reben,1
Man prebt kein gahrend Nab gequetschten Beeren ab.
Die Erde hat zum Durst nur Brunnen hergegeben,
Und kein gekunstelt Saur beschleunigt unser Grab.
Begluckte, klaget nicht! ihr wuchert im Verlieren;
Kein notiges Getrank, ein Gift verlieret ihr!
Die gutige Natur verbietet ihn den Tieren,
Der Mensch allein trinkt Wein und wird dadurch ein Tier.
Fur euch, o Selige! will das Verhangnis sorgen,
Es hat zum Untergang den Weg euch selbst verborgen.

Allein es ist auch hier der Herbst nicht leer an Schatzen,
Die List und Wachsamkeit auf hohen Bergen findt.
Eh sich der Himmel zeigt und sich die Nebel setzen,
Schallt schon des Jagers Horn und weckt das Felsen-Kind;
Da setzt ein schuchtern Gems, beflugelt durch den Schrecken,
Durch den entfernten Raum gespaltner Felsen fort;
Dort eilt ein kunstlich Blei nach schwer gehornten Bocken,
Hier flieht ein leichtes Reh, es schwankt und sinket dort.
Der Hunde lauter Kampf, des Erztes todlich Knallen
Tont durch das krumme Tal und macht den Wald erschallen.

Indessen, dab der Frost sie nicht entblobt berucke,
So macht des Volkes Fleib aus Milch der Alpen Mehl.
Hier wird auf strenger Glut geschiedner Zieger dicke,
Und dort gerinnt die Milch und wird ein stehend Öl;
Hier prebt ein stark Gewicht den schweren Satz der Molke,
Dort trennt ein gahrend Saur das Wasser und das Fett;
Hier kocht der zweite Raub der Milch dem armen Volke,
Dort bildt den neuen Kas ein rund geschnitten Brett.
Das ganze Haus greift an und schamt sich, leer zu stehen,
Kein Sklaven-Handwerk ist so schwer als Mubiggehen.

Hat nun die mude Welt sich in den Frost begraben,
Der Berge Taler Eis, die Spitzen Schnee bedeckt,
Ruht das erschopfte Feld nun aus fur neue Gaben,
Weil ein kristallner Damm der Flusse Lauf versteckt,
Dann zieht sich auch der Hirt in die beschneiten Hutten,
Wo fetter Fichten Dampf die durren Balken schwarzt;
Hier zahlt die sube Ruh die Muh, die er erlitten,
Der Sorgen-lose Tag wird freudig durchgescherzt,
Und wenn die Nachbarn sich zu seinem Herde setzen,
So weib ihr klug Gesprach auch Weise zu ergotzen.

Der eine lehrt die Kunst, was uns die Wolken tragen,
Im Spiegel der Natur vernunftig vorzusehn,
Er kann der Winde Strich, den Lauf der Wetter sagen
Und sieht in heller Luft den Sturm von weitem wehn;
Er kennt die Kraft des Monds, die Wurkung seiner Farben,
Er weib, was am Geburg ein fruher Nebel will;
Er zahlt im Marzen schon der fernen Ernte Garben
Und halt, wenn alles maht, bei nahem Regen still;
Er ist des Dorfes Rat, sein Ausspruch macht sie sicher,
Und die Erfahrenheit dient ihm vor tausend Bucher.

Ein junger Schafer stimmt indessen seine Leier,
Dazu er ganz entzuckt ein neues Liedgen singt,
Natur und Liebe giebt in ihn ein heimlich Feuer,
Das in den Adern glimmt und nie die Muh erzwingt;
Die Kunst hat keinen Teil an seinen Hirten-Liedern,
Im ungeschmuckten Lied malt er den freien Sinn;
Auch wann er dichten soll, bleibt er bei seinen Widdern,
Und seine Muse spricht wie seine Schaferin;
Sein Lehrer ist sein Herz, sein Phobus seine Schone,
Die Ruhrung macht den Vers und nicht gezahlte Tone.

Bald aber spricht ein Greis, von dessen grauen Haaren
Sein angenehm Gesprach ein hohers Ansehn nimmt,
Die Vorwelt sah ihn schon, die Last von achtzig Jahren
Hat seinen Geist gestarkt und nur den Leib gekrummt;
Er ist ein Beispiel noch von unsern Helden-Ahnen,
In deren Faust der Blitz und Gott im Herzen war;
Er malt die Schlachten ab, zahlt die ersiegten Fahnen,
Besturmt der Feinde Wall und ruhmt die kuhnste Schar.
Die Jugend hort erstaunt und wallt in den Gebarden,
Mit edler Ungeduld, noch loblicher zu werden.

Ein andrer, dessen Haupt mit gleichem Schnee bedecket,
Ein lebendes Gesetz, des Volkes Richtschnur ist,
Lehrt, wie die feige Welt ins Joch den Nacken strecket,
Wie eitler Fursten Pracht das Mark der Lander fribt,
Wie Tell mit kuhnem Mut das harte Joch zertreten,
Das Joch, das heute noch Europens Halfte tragt;
Wie um uns alles darbt und hungert in den Ketten
Und Welschlands Paradies gebogne Bettler hegt;
Wie Eintracht, Treu und Mut, mit unzertrennten Kraften,
An eine kleine Macht des Gluckes Flugel heften.

Bald aber schliebt ein Kreis um einen muntern Alten,
Der die Natur erforscht und ihre Schonheit kennt;
Der Krauter Wunder-Kraft und andernde Gestalten
Hat langst sein Witz durchsucht und jedes Moos benennt;
Er wirft den scharfen Blick in unterirdsche Grufte,
Die Erde deckt vor ihm umsonst ihr falbes Gold,
Er dringet durch die Luft und sieht die Schwefel-Dufte,
In deren feuchter Schob gefangner Donner rollt;
Er kennt sein Vaterland und weib an dessen Schatzen
Sein immerforschend Aug am Nutzen zu ergotzen.

Dann hier, wo Gotthards Haupt die Wolken ubersteiget
Und der erhabnern Welt die Sonne naher scheint,
Hat, was die Erde sonst an Seltenheit gezeuget,
Die spielende Natur in wenig Lands vereint;
Wahr ists, dab Libyen uns noch mehr Neues gibet
Und jeden Tag sein Sand ein frisches Untier sieht;
Allein der Himmel hat dies Land noch mehr geliebet,
Wo nichts, was notig, fehlt und nur, was nutzet, bluht;
Der Berge wachsend Eis, der Felsen steile Wande
Sind selbst zum Nutzen da und tranken das Gelande.

Wenn Titans erster Strahl der Gipfel Schnee verguldet
Und sein verklarter Blick die Nebel unterdruckt,
So wird, was die Natur am prachtigsten gebildet,
Mit immer neuer Lust von einem Berg erblickt;
Durch den zerfahrnen Dunst von einer dunnen Wolke
Eroffnet sich zugleich der Schauplatz einer Welt,
Ein weiter Aufenthalt von mehr als einem Volke
Zeigt alles auf einmal, was sein Bezirk enthalt;
Ein sanfter Schwindel schliebt die allzu schwachen Augen,
Die den zu breiten Kreis nicht durchzustrahlen taugen.

Ein angenehm Gemisch von Bergen, Fels und Seen
Fallt nach und nach erbleicht, doch deutlich, ins Gesicht,
Die blaue Ferne schliebt ein Kranz beglanzter Hohen,
Worauf ein schwarzer Wald die letzten Strahlen bricht;
Bald zeigt ein nah Geburg die sanft erhobnen Hugel,
Wovon ein laut Geblok im Tale widerhallt;
Bald scheint ein breiter See ein Meilen-langer Spiegel,
Auf dessen glatter Flut ein zitternd Feuer wallt;
Bald aber offnet sich ein Strich von grunen Talern,
Die, hin und her gekrummt, sich im Entfernen schmalern.

Dort senkt ein kahler Berg die glatten Wande nieder,
Den ein verjahrtes Eis dem Himmel gleich geturmt,
Sein frostiger Kristall schickt alle Strahlen wieder,
Den die gestiegne Hitz im Krebs umsonst besturmt.
Nicht fern vom Eise streckt, voll Futter-reicher Weide,
Ein fruchtbares Geburg den breiten Rucken her;
Sein sanfter Abhang glanzt von reifendem Getreide,
Und seine Hugel sind von hundert Herden schwer.
Den nahen Gegenstand von unterschiednen Zonen
Trennt nur ein enges Tal, wo kuhle Schatten wohnen.

Hier zeigt ein steiler Berg die Mauer-gleichen Spitzen,
Ein Wald-Strom eilt hindurch und sturzet Fall auf Fall.
Der dick beschaumte Flub dringt durch der Felsen Ritzen
Und schiebt mit gaher Kraft weit uber ihren Wall.
Das dunne Wasser teilt des tiefen Falles Eile,
In der verdeckten Luft schwebt ein bewegtes Grau,
Ein Regenbogen strahlt durch die zerstaubten Teile
Und das entfernte Tal trinkt ein bestandige Tau.
Ein Wandrer sieht erstaunt im Himmel Strome flieben,
Die aus den Wolken fliehn und sich in Wolken gieben.

Doch wer den edlern Sinn, den Kunst und Weisheit scharfen,
Durchs weite Reich der Welt empor zur Wahrheit schwingt,
Der wird an keinen Ort gelehrte Blicke werfen,
Wo nicht ein Wunder ihn zum Stehn und Forschen zwingt.
Macht durch der Weisheit Licht die Gruft der Erde heiter,
Die Silber-Blumen tragt und Gold den Bachen schenkt;
Durchsucht den holden Bau der buntgeschmuckten Krauter,
Die ein verliebter West mit fruhen Perlen trankt:
Ihr werdet alles schon und doch verschieden finden
Und den zu reichen Schatz stets graben, nie ergrunden!

Wann dort der Sonne Licht durch fliehnde Nebel strahlet
Und von dem nassen Land der Wolken Tranen wischt,
Wird aller Wesen Glanz mit einem Licht bemalet,
Das auf den Blattern schwebt und die Natur erfrischt;
Die Luft erfullet sich mit reinen Ambra-Dampfen,
Die Florens bunt Geschlecht gelinden Westen zollt;
Der Blumen scheckicht Heer scheint um den Rang zu kampfen,
Ein lichtes Himmel-Blau beschamt ein nahes Gold;
Ein ganz Geburge scheint, gefirnibt von dem Regen,
Ein grunender Tapet, gestickt mit Regenbogen.

Dort ragt das hohe Haupt am edlen Enziane
Weit ubern niedern Chor der Pobel-Krauter hin;
Ein ganzes Blumen-Volk dient unter seiner Fahne,
Sein blauer Bruder selbst buckt sich und ehret ihn.
Der Blumen helles Gold, in Strahlen umgebogen,
Turmt sich am Stengel auf und kront sein grau Gewand;
Der Blatter glattes Weib, mit tiefem Grun durchzogen,
Bestrahlt der bunte Blitz von feuchtem Diamant;
Gerechtestes Gesetz! dab Kraft sich Zier vermahle;
In einem schonen Leib wohnt eine schonre Seele.

Hier kriecht ein niedrig Kraut, gleich einem grauen Nebel,
Dem die Natur sein Blatt in Kreuze hingelegt;
Die holde Blume zeigt die zwei verguldten Schnabel,
Die ein von Amethyst gebildter Vogel tragt.
Dort wirft ein glanzend Blatt, in Finger ausgekerbet,
Auf eine helle Bach den grunen Widerschein;
Der Blumen zarten Schnee, den matter Purpur farbet,
Schliebt ein gestreifter Stern in weibe Strahlen ein;
Smaragd und Rosen bluhn auch auf zertretner Heide,
Und Felsen decken sich mit einem Purpur-Kleide.

Allein wohin auch nie die milde Sonne blicket,
Wo ungestorter Frost das ode Tal entlaubt,
Wird hohler Felsen Gruft mit einer Pracht geschmucket,
Die keine Zeit versehrt und nie der Winter raubt.
Im nie erhellten Grund von unterirdschen Gruften
Wolbt sich der feuchte Ton mit funkelndem Kristall,
Der schimmernde Kristall sprobt aus der Felsen Kluften,
Blitzt durch die dustre Luft und strahlet uberall.
O Reichtum der Natur! verkriecht euch, welsche Zwerge:
Europens Diamant bluht hier und wachst zum Berge!

Im Mittel eines Tals von Himmel-hohem Eise,
Wohin der wilde Nord den kalten Thron gesetzt,
Entspriebt ein reicher Brunn mit siedendem Gebrause,
Raucht durch das welke Gras und senget, was er netzt.
Sein lauter Wasser rinnt mit flussigen Metallen,
Ein heilsam Eisensalz verguldet seinen Lauf;
Ihn warmt der Erde Gruft, und seine Fluten wallen
Vom innerlichen Streit vermischter Salze auf:
Umsonst schlagt Wind und Schnee um seine Flut zusammen,
Sein Wesen selbst ist Feur und seine Wellen Flammen.

Dort aber, wo im Schaum der Strudel-reichen Wellen
Die Wut des truben Stroms gesturzte Walder walzt,
Rinnt der Geburge Gruft mit unterirdschen Quellen,
Wovon der scharfe Schweib das Salz der Felsen schmelzt.
Des Berges hohler Bauch, gewolbt mit Alabaster,
Schliebt zwar dies kleine Meer in tiefe Schachten ein;
Allein sein atzend Nab zermalmt das Marmor-Pflaster,
Dringt durch der Klippen Fug und eilt, gebraucht zu sein;
Die Wurze der Natur, der Lander reichster Segen
Beut selbst dem Volk sich an und stromet uns entgegen.

Aus Schreckhorns kaltem Haupt, wo sich in beide Seen
Europens Wasser-Schatz mit starken Stromen teilt,
Sturzt Nuchtlands Aare sich, die durch beschaumte Hohen
Mit schreckendem Gerausch und schnellen Fallen eilt;
Der Berge reicher Schacht verguldet ihre Horner
Und farbt die weibe Flut mit koniglichem Erzt,
Der Strom fliebt schwer von Gold und wirft gediegne Korner,
Wie sonst nur grauer Sand gemeines Ufer schwarzt.
Der Hirt sieht diesen Schatz, er rollt zu seinen Fuben,
O Beispiel fur die Welt! er siehts und labt ihn flieben.

Verblendte Sterbliche! die, bis zum nahen Grabe,
Geiz, Ehr und Wollust stets an eitlen Hamen halt,
Die ihr der kurzen Zeit genau gezahlte Gabe
Mit immer neuer Sorg und leerer Muh vergallt,
Die ihr das stille Gluck des Mittelstands verschmahet
Und mehr vom Schicksal heischt als die Natur von euch,
Die ihr zur Notdurft macht, worum nur Torheit flehet:
O glaubts, kein Stern macht froh, kein Schmuck von Perlen reich!
Seht ein verachtet Volk zur Muh und Armut lachen,
Die mabige Natur allein kann glucklich machen.

Elende! ruhmet nur den Rauch in groben Stadten,
Wo Bosheit und Verrat im Schmuck der Tugend gehn,
Die Pracht, die euch umringt, schliebt euch in guldne Ketten,
Erdruckt den, der sie tragt, und ist nur andern schon.
Noch vor der Sonne reibt die Ehrsucht ihre Knechte
An das verschlobne Tor geehrter Burger hin,
Und die verlangte Ruh der durchgeseufzten Nachte
Raubt euch der stete Durst nach nichtigem Gewinn.
Der Freundschaft himmlisch Feur kann nie bei euch entbrennen,
Wo Neid und Eigennutz auch Bruder-Herzen trennen.

Dort spielt ein wilder Furst mit seiner Diener Rumpfen,
Sein Purpur farbet sich mit lauem Burger-Blut;
Verleumdung, Hab und Spott zahlt Tugenden mit Schimpfen,
Der Gift-geschwollne Neid nagt an des Nachbarn Gut;
Die geile Wollust kurzt die kaum gefuhlten Tage,
Weil um ihr Rosen-Bett ein naher Donner blitzt;
Der Geiz bebrutet Gold, zu sein’ und andrer Plage,
Das niemand weniger, als wer es hat, besitzt;
Dem Wunsche folgt ein Wunsch, der Kummer zeuget Kummer,
Und euer Leben ist nichts als ein banger Schlummer.

Bei euch, vergnugtes Volk, hat nie in den Gemutern
Der Laster schwarze Brut den ersten Sitz gefabt,
Euch sattigt die Natur mit ungesuchten Gutern;
Die macht der Wahn nicht schwer, noch der Genub verhabt;
Kein innerlicher Feind nagt unter euren Brusten,
Wo nie die spate Reu mit Blut die Freude zahlt;
Euch uberschwemmt kein Strom von wallenden Gelusten,
Dawider die Vernunft mit eiteln Lehren prahlt.
Nichts ist, das euch erdruckt, nichts ist, das euch erhebet,
Ihr lebet immer gleich und sterbet, wie ihr lebet.

O selig! wer wie ihr mit selbst gezognen Stieren
Den angestorbnen Grund von eignen Äckern pflugt;
Den reine Wolle deckt, beraubte Kranze zieren
Und ungewurzte Speis aus suber Milch vergnugt;
Der sich bei Zephyrs Hauch und kuhlen Wasser-Fallen
In ungesorgtem Schlaf auf weichen Rasen streckt;
Den nie in hoher See das Brausen wilder Wellen,
Noch der Trompeten Schall in bangen Zelten weckt;
Der seinen Zustand liebt und niemals wunscht zu bessern!
Das Gluck ist viel zu arm, sein Wohlsein zu vergrobern.

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Die Alpen - ALBRECHT VON HALLER