Der Trompeter von Sakkingen 3. Stuck
Schwimmt ein Schifflein auf dem Meere,
Schwimmt heran zur frank’schen Kuste,
Fremde Segel – fremde Wimpel –
Und am Steuer sitzt ein blasser
Mann im schwarzen Monchsgewand.
Dumpf, wie ein wehmutig Klagen
Klingt der Pilger fremde Sprache,
Klingt Gebet und Schifferrufen,
‘s sind die alten keltischen Laute
Von Erin, der grunen Insel,
Und das Schifflein tragt den frommen
Glaubensboten Fridolinus.
“Lab die Klag’, herzliebe Mutter,
Nicht mit Schwert und nicht mit Streitaxt
Darf der Sohn sich Ruhm erstreiten,
Andre Zeiten, andre Waffen.
Glaub’ und Lieb’ sind meine Wehre,
Meinem Heiland treu ergeben
Mub ich zu den Heiden ziehen,
Keltisch Blut treibt in die Ferne.
Und im Traum hab’ ich erschauet
Fremdes Land und fremde Berge,
Jungen Strom mit gruner Insel,
War so schon fast wie die Heimat.
Dorthin wies des Herren Finger,
Dorthin zieht nun Fridolinus.”
Opferfreudig fuhr mit wenig
Frommen irischen Genossen
Fridolin die weite Meerbahn,
Fuhr hinein ins Reich der Franken.
Zu Paris sab Konig Chlodwig,
Lachelnd sprach er zu den Pilgern:
“Hatt’ sonst nicht die grobte Vorlieb’
Fur die Kutten, fur die Heil’gen;
Aber seit mir die verfluchten
Scharfen Alemannenspiebe
Allzunah ums Ohr gepfiffen,
Seit der schweren Schlacht bei Zulpich
Bin ich andrer Ansicht worden,
– Not lehrt auch die Konige beten.
Schutz drum geb’ ich, wo ihr hinzieht,
Und empfehl’ hauptsachlich euch am
Oberrhein die Alemannen,
Diese haben schwere Schadel,
Diese sind noch trotz’ge Heiden,
Macht mir diese fromm und artig.”
Weiter zog das fromme Hauflein,
Zog in die helvetischen Gauen;
Dort begann die ernste Arbeit,
Und des Kreuzes Zeichen wurde
Aufgesteckt am Fub des Santis,
Aufgesteckt am schwab’schen Meer.
Von dem Jura stieg hernieder
Fridolin – er sah die Trummer
Von Augusta Rauracorum,
Romermauern – noch entragten
Aus dem Schutt des grunen Tals die
Saulen des Serapistempels.
Doch Altar und Gottercella
War von Disteln ubersponnen,
Und des Gott’s basaltnen Stierkopf
Hatt’ ein alemann’scher Bauer,
Dessen Ahn vielleicht den letzten
Priester des Serapis totschlug,
Über seinen Stall gemauert.
Fridolin sah’s und bekreuzt’ sich
Und schritt weiter, schritt rheinaufwarts,
Freudig ob des jungen Stromes.
Abend war’s, schon manche Meile
War der fromme Mann gewandert,
Da erschaut er, wie der Rhein in
Zweigeteiltem Lauf einherflob,
Und in gruner Flut lag grubend
Vor ihm da ein kleines Eiland.
(Einem Sack gleich lag’s im Rheine,
Und die Landbewohner, deren
Gleichniss’ just nicht fein gewahlt sind,
Nannten’s drum Sacconium.)
Abend war’s, die Lerchen sangen,
Schnalzend sprang der Fisch im Strom auf
Und in Fridolini Herzen
Zuckte dankbar fromme Freude.
Betend sank er in die Knie,
Denn er kannt’ die Insel, die er
Langst im Traume schon ersehen,
Und er pries den Herrn im Himmel.
Wohl ein mancher von uns andern
Spatgebornen Menschenkindern
Traumt von einem stillen Eiland,
Wo sich glucklich liebe nisten
Und das mude Herz sich labt an
Waldesruh und Sonntagsfrieden,
Und ein mancher zieht sehnsuchtig
Auf die Fahrt – doch wenn sein Fub sich
Am ertraumten Lande wahnt,
Weicht es jah vor ihm zurucke,
Wie im Sud’ das wundersame
Spiegelbild der Fee Morgana.
Mit Kopfschutteln fuhr den fremden
Mann auf rohgefugtem Tannflob
Dort ein wilder Schiffer uber.
Rauh die Insel; Lind’ und Erle
Wucherten in sumpf’gem Grunde,
Und am kieselreichen Ufer
Standen alte Weidenbaume,
Standen wenig Strohdachhutten.
Dort im Sommer, wenn der grobe
Meerlachs seine Rheinfahrt macht,
Lauerte mit scharfem Spiebe
Sein der alemann’sche Fischer.
Unverdrossen ging der Heil’ge
An sein Werk – bald stand sein Blockhaus
Festgezimmert in dem Grunde,
Vor dem Haus der Stamm des Kreuzes.
Und wenn abendlich sein Glocklein
Weithin klang: Ave Maria!
Und er betend kniet’ am Kreuze,
Schaute mancher aus dem Rheintal
Scheu hinuber nach der Insel.
Trotzig war der Alemanne,
Habte einst die Romergotter,
Habte jetzt den Gott der Franken,
Der bei Zulpich wie ein Wetter
Ihre Heerschar niederschlug.
Wenn am Winterabend faul der
Hausherr auf der faulen Haut lag,
Und die Weibervolker emsig
Ihre Zung’ spazieren lieben
Und von dem und jenem schwatzten:
Wie die Milch im Krug geronnen,
Wie der Blitz ins Haus gefahren,
Wie den Jungen auf der Saujagd
Schwer des Keulers Zahn getroffen,
Dann bedachtsam sprach die alte
Alemann’sche Grobmama:
“Dran ist niemand anders schuld als
Druben auf der Rheines-Insel
Jener blasse fremde Beter.
Trauet nicht dem Gott der Franken,
Trauet nicht dem Konig Chlodwig!”
Und sie furchteten den Fremden.
Einstmals, ‘s war die Sonnwendfeier,
Fuhren sie zu seiner Insel,
Tranken dort nach altem Landbrauch
Met aus ungeheuren Krugen,
Und sie fahten auf den Heil’gen,
Doch der war rheinab gefahren.
“Wollen drum dem blassen Mann ein
Zeichen unsers Festtags lassen!”
Und die Feuerbrande flogen
In die Hutte Fridolini,
Und sie sprangen jubelnd durch die
Flammen: “Heil und Lob sei Wodan!”
Still vergnuglich sah’s von fern die
Grobmama – unheimlich glanzt ihr
Runzlig Antlitz, flammbescheinet.
Fridolinus kam zuruck, er
Stand am Schutte seines Hauses,
Und er sprach wehmutig lachelnd:
“Prufung schafft den Mut nur hoher,
Dank dem Herren fur die Prufung.”
Und er baut’ sein Haus von neuem,
Und er fand den sichern Pfad zu
Seiner Nachbarn rauhem Herzen.
Erst die Kinder, dann die Frauen
Lauschten seinen milden Worten,
Und der trotz’gen Manner mancher
Nickte Beifall, wenn er zeigte,
Wie sie in Erin, der Heimat,
Sichrer noch den Lachs erlegten,
Wenn er sang von alten Maren,
Wie auch auf den kaledon’schen
Klippen hart der Kampf getobet
Mit dem Romer, und wie Fingal
Niederwarf den Caracul.
Und sie sprachen: “‘s mub ein starker
Gott sein, der den Mann zu uns fuhrt.
Und ein guter Gott, sein Bote
Schaffet unserm Fischfang Segen.”
Und vergeblich warnt’ die Ahnfrau:
“Trauet nicht dem Gott der Franken,
Trauet nicht dem Konig Chlodwig!”
Ja, er traf die rauhen Herzen,
Und sie lernten schwer, doch willig
Fridolini Lehre, wie das
Geben seliger als Nehmen,
Dulden mehr als Feind’ erschlagen,
Und wie aller Gotter hochster
Der, der an dem Kreuz geduldet.
Kaum ein Jahr war abgelaufen,
‘s war Palmsonntag – niederstiegen
Rings von allen Bergeshalden
Die Bewohner und der Kahn trug
Sie zur Insel Fridolini.
Friedlich legten vor der Insel
Schwert und Schild und Axt sie nieder,
Und die Kinder brachen frohlich
Sich die ersten Weidenbluten
Und die Veilchen an dem Ufer.
Aus der Klause trat geschmuckt im
Priesterkleide Fridolinus,
Ihm zur Seite die Genossen,
Die von fern heruberkamen,
Aus Helvetien Gallus, und vom
Bodensee Sankt Kolumban;
Und sie fuhrten zu dem Ufer
Hin die Schar der Neubekehrten,
Und sie tauften sie im Namen
Des dreiein’gen Christen-Gottes.
Sie allein kam nicht herunter
Zu des frommen Mannes Insel,
Sie, die alte trotz’ge Ahnfrau.
Sprach: “Am Abend meines Lebens
Brauch ich keine neuen Gotter.
War zufrieden mit den alten,
Die mir hold und gnadig waren,
Die den Eh’gemahl mir schenkten,
Meinen braven Siegebert;
Wenn ich einst zu sterben gehe,
Wurd’ ich den nicht wieder finden,
Und zu ihm geht all mein Sehnen;
Will begraben sein im Walde,
Wo bei mistelschwerem Tannbaum
Die Alraunenwurz heimlich aufspriebt,
Will kein Kreuz auf meinem Grabe,
Andern mog’ es Segen bringen.”
Fridolinus aber legte
Noch denselben Tags den Grundstein
Zu dem Kloster und dem Stadtlein,
Und sein Werk gedieh in frischem
Wachstum – rings in allen Gauen
Ward der heil’ge Mann geehrt.
Als er einstmals wieder eintrat
Zu Paris in Chlodwigs Hofburg,
Setzt’ der Konig ihn zur Rechten
Und lieb in solenner Schenkung
Seinem Stift die Insel und viel
Ander Land zu eigen schreiben.
Ja, er ward ein grober Heil’ger.
Kennt die Mar ihr vom Gerichtstag
Und vom toten Grafen Ursus,
Wie sie am Portal der Kirch’ noch
Jetzt ein steinern Standbild kundet?
Ja, er ward ein grober Heil’ger,
Ihn verehrt als Schutzpatron noch
Heut das Rheintal; auf den Bergen
Labt der Bauersmann noch heut den
Erstgebornen Fridli taufen.* * * Wohlgemut am sechsten Marzen
Schied jung Werner aus dem Pfarrhof,
Dankend schuttelt er die Hand dem
Biedern Pfarrherrn, der ihm freundlich
Gluck auf seinen Fahrten wunschte.
Auch die Schaffnerin war vollig
Ausgesohnet mit dem Gaste,
Und verschamt errotend schlug sie
Ihre alten Augen nieder,
Als jung Werner scherzend ihr zum
Abschied eine Kubhand zuwarf.
Bellend sprangen beide Hunde
Weit noch mit dem Reitersmann.
Freundlich schien die Marzensonne
Auf die Stadt Sankt Fridolini,
Leis verhallten von dem Munster
Feierliche Orgeltone,
Als jung Werner durch das Tor ritt.
Eilig sucht’ er fur sein Roblein
Unterkommen – und er schritt dann
Nach dem buntbelebten Marktplatz,
Schritt hinauf zum grauen Hochstift,
Zum Portal entblobten Hauptes
Trat er und ersah den groben
Festzug itzt voruberziehn.
In der Kriegsnot lag gefluchtet
Der Reliquienschrein des Heil’gen
In der Laufenburger Feste.
Die im Stadtlein hatten sein
Gegenwart oft schwer vermibt, und
Jetzt, wo Frieden in dem Land war,
Trachteten sie mit neuem Eifer
Sie den Heil’gen zu verehren.
Am Beginn des Zuges war die
Schar der Kinder, festesfreudig.
Aber wenn sie lustig scherzten,
Kam der graue Oberlehrer,
Zupft’ sie scheltend an den Ohren:
“Still geblieben, kleines Volklein!
Hutet euch, solch loses Schwatzen
Mocht’ Sankt Fridolinus horen,
Der ist ein gestrenger Heil’ger,
Der verklagt euch in dem Himmel.”
Zwolf Junglinge trugen dann den
Sarg, geschmuckt mit Gold und Silber
Barg des Heiligen Gebein er.
Trugen ihn und sangen leise:
“Der du hoch im Himmel wohnest,
Schaue gnadig auf dein Stadtlein,
Schlieb es gnadig ins Gebet ein,
Fridoline! Fridoline!
Leih auch furder deinen Schutz uns,
Wolle gnadig vor Gefahren,
Krieg und Pestilenz uns wahren,
Fridoline! Fridoline!
Der Dechant und die Kaplane
Folgten ihnen, – kerzentragend
Schritt der junge Burgermeister,
Schritten die wohlweisen Ratsherrn,
Und die andern Wurdentrager:
Amtmann und Renteiverwalter,
Syndikus, Notar und Anwalt,
Auch der alte Oberforster.
(Der nur des Decorums halber,
Denn mit Prozession und Kirche
Stand er nicht auf bestem Fube,
Betet’ lieber draub im Walde.)
Selbst der Weibel und Gerichtsbot’
Saben heut zu dieser Stunde
Nicht bei dem gewohnten Fruhtrunk,
Sondern gingen ernst im Zuge.
Dann im dunkeln span’schen Mantel,
Dran das weibe Kreuz erglanzte,
Schritten die Deutsch-Ordensherren,
Commenthur und Rittersmanner.
Draub in Beuggen stand am Rhein das
Wohlbewehrte Haus des Ordens,
Und in fruher Morgenstunde
Waren sie heraufgeritten.
Drauf die schwarzen, ernsten, alten
Edeldamen aus dem Hochstift;
Voraus bei der blauen Fahne
Ging die greise Furstabtissin,
Und sie dachte: Fridoline,
Bist ein lieber, guter Heil’ger,
Eins doch kannst mir nimmer bringen,
Eins: die goldne Zeit der Jugend.
Sub war’s einst vor funfzig Jahren,
Als die Wang’ wie Rosen bluhte,
Und im Spinngeweb der Blicke
Manch ein Edelmann blieb hangen!
Lang schon tu’ ich dafur Bube
Und ich hoff’, es ist vergeben.
Runzeln furchen itzt die Stirne,
Welk die Wangen, welk die Lippe,
Und im Munde klafft die Zahnluck.
An der Edeldamen Reihe
Schlossen sich die Burgerfrauen,
Schlob der Zug sich der Matronen.
Eine nur, im Werktagskleide
Mubte seitab stehn vom Zuge,
‘s war die Wirtin aus der alten
Herberg’ zu dem “guldnen Knopfe”,
Also wollt’s der strenge Festbrauch.
Dort – so meldet uns die Sage –
Stand schon in den Heidenzeiten
Eine Herberg’ – Fridolin auch,
Als zuerst er auf die Insel
Seinen Fub setzt’, sucht’ dort Obdach.
Doch es war der Wirt ein grober
Heide – sprach zum heil’gen Manne:
Kann die Missionar nicht brauchen,
Die die alten Gotter schmahen
Und gewohnlich keinen roten
Heller in der Tasche haben –
Hebt Euch fort von meiner Schwelle!”
Fridolinus, dessen Kasse
Wirklich auberst schmal bestellt war,
Mubt’ in hoher Linde Schatten,
Mubte draub im freien Felde
Nachtruh’ halten – doch die Engel
Dachten seiner und fruhmorgens
War die leere Reisetasch’ ihm
Voll von guldenen Denaren.
Wieder ging der heil’ge Mann zur
Ungastlichen Heidenherberg’,
Nahm ein Mahl und zahlt’ in blanker
Munze, was der Wirt ihm fordert,
Lieb beschamend auch zuruck als
Trinkgeld sieben Goldschillinge.
Drum zur ew’gen Warnung fur solch
Mitleidlose Herbergsvater
Darf auch nach Jahrhunderten noch
Aus dem guldnen Knopfe keiner
Mit des Heil’gen Prozession gehn. –
– Wie des Feldes junge Blumen
Froh bei durren Stoppeln bluhen,
Also schritt bei den Matronen
Dann der Jungfraun holde Schar,
Schritt heran im weiben Festkleid.
Manch ein Alter dachte, wie sie
Jugendschon voruberzogen:
Hute, hute deine Augen!
Diese Schar ist so gefahrlich
Wie ein Schwedenregiment.
Ein Madonnabildnis trugen
Sie voraus, es war geschmuckt mit
Purpurschwerem Samtgewande,
Das als Weihgeschenk zum Danke
Fur des Kriegs Beendigung
Sie dem Bild einst dargebracht.
Als die vierte in der Reihe
Schritt ein schlankes blondes Fraulein,
Veilchenstraub im Lockenhaare,
Druber wallt’ der weibe Schleier,
Und er deckte halb ihr Antlitz
Wie ein Winterreif’, der auf der
Jungen Rosenknospe glanzet.
Mit gesenktem Blicke schritt sie
Jetzt voruber an jung Werner.
Der ersah sie – war’s die Sonne,
Die sein Auge jah geblendet?
War’s der blonden Jungfrau Anmut?
Viele zogen noch voruber,
Doch er schaute festgebannt nur
Nach der vierten in der Reihe,
Schaut’ – und schaute -, als der Zug schon
In die Seitenstrabe einbog,
Schaut’ er noch, als mubt’ die vierte
In der Reihe er erspahn. – –
– “Den Mann hat’s!” so nennt der Sprachbrauch
Dortlands jenen Zustand, wo der
Liebe Zauber uns gepackt hat;
Denn der Mensch nicht hat die Liebe,
Nein – er ist von ihr besessen.
Sieh dich vor, mein junger Werner!
Freud’ und Leiden birgt das Wortlein:
“Den Mann hat’s!” – Nichts sag’ ich weiter.