Der Trompeter von Sakkingen 16. Stuck
Innocentius der Elfte
War ein guter Herr, auch hatt’ ihm
Gut das Mittagsmahl gemundet.
Tafelnd sab er und verzehrte
Eine Ananas zum Nachtisch,
Sprach zum Kardinal Albani:
“Wer war doch das blasse Fraulein,
Das heut morgen in Sankt Peter
Eine Ohnmacht angewandelt?”
Sprach der Kardinal Albani:
“Augenblicklich fehlt hieruber
Mir die Auskunft, doch ich werd’ den
Monsignor Venusto fragen,
Der weib alles, was in Rom bei
Tag sich und bei Nacht ereignet,
Weib, was die Salons erzahlen,
Was die Senatoren treiben,
Was die flam’schen Maler trinken,
Was die Primadonnen trillern,
Weib selbst, was die Marionetten
An dem Platz Navona spielen.
Es ist nichts so fein gesponnen,
Das ein Monsignor nicht wubte.”
Eh’ der Kaffee noch serviert ward,
(Dieser war damals ein selten
Nagelneu Getrank, man trank ihn
Nur an hohen Feiertagen)
War der Kardinal schon vollig
Informiert, und er erzahlte:
“Diese blasse Dame ist ein
Edelfraulein, mit der deutschen
Furstabtissin kam nach Rom sie,
Und sie sah – merkwurd’gerweise –
In Sankt Peter einen Mann heut,
Den sie einst vor Jahren liebte
Und an dem – merkwurd’gerweise –
Sie noch bis zum heut’gen Tag hangt,
Unerachtet und obgleich er
Sonder Ahnen, sonder Stammbaum
Hoffnungslos einst Abschied nahm.
Und der Ohnmacht unfreiwill’ger
Anlab ist, – merkwurd’gerweise –
Signor Werner, Euer Eignen
Heiligkeit Kapellenmeister,
Also hat’s dem Monsignor, der
Die Abtissin heut besuchte,
Diese selbst unter dem Siegel
Tiefen Schweigens anvertraut.”
Sprach der Papst: “Das ist ja wahrhaft
Eine ruhrende Begegnung.
War’ der Stoff nicht zu modern und
Handelte sich’s nicht um deutsche
Halbbarbarn, so durfte einer
Aus der Herrn Arkadier subem
Dichterhaine Lorbeern ernten,
Sang’ er dieses Wiedersehn.
Doch ich nehme wirklich Anteil
An dem ernsten Signor Werner.
Trefflich halt er die Kapelle
Mir in Ordnung und verbreitet
Sinn fur ernste strenge Weisen,
Wahrend meine Italiener
Sich so gerne am leichtfert’gen
Operntonspektakel freun.
Schweigsam liegt er seinem Dienst ob,
Spricht kein Wort aus freien Stucken,
Bat noch nie um eine Gnade,
Nie auch halt die Hand er offen
Fur die Gaben der Bestechung,
Und der Korruption Exempel
Sind bei uns doch hauf’ger als die
Floh’ in heiben Sommertagen;
Nicht wahr, Monsignor Venusto?
Beinah scheint mir, dab den deutschen
Meister unbekannter Gram druckt.
‘s war’ interessant zu wissen,
Ob auch er noch jener Lieb’ denkt?”
Sprach der Kardinal Albani:
“Diese mocht’ ich schier bejahen.
In den Konduitenlisten,
Die wir uber hoh’ und niedre
Staats – und Kirchendiener fuhren,
Steht verzeichnet als Kuriosum,
Dab er streng die Frauen meidet.
Fruher hatten wir Verdacht, dab
Ihm die schone Wirtin in der
Schenke beim Egeriatale
Eine Flamm’ im Herz entzundet.
Abendlich sah man ihn wandeln
Vor die Porta Sebastiano,
Ringsum ist kein ander Wohnhaus
Als besagte Osteria,
Und bei solchem Nachtspaziergang
Hat ein Mann von seinen Jahren
Die Vermutung gegen sich.
Darum sandten wir zwo Spaher
Auf dem Fub ihm nach, doch diese
Fanden draub’ ihn bei den Trummern
An der appischen Graberstrabe.
‘s hat ein romischer Padron einst
Seiner jud’schen Freigelassnen,
Die er als Andenken an den
Tempelbrand Jerusalems
Mitnahm, dort ein Grab gesetzet,
Glaub’, sie hieb Zatcha Achyba.
Dorten sab er, und die Spaher
Sagten, ‘s war ein schon Effektstuck:
Die Campagna nachtlich duster,
Er, den Mantel umgeschlagen,
Mondschein auf dem Marmordenkmal.
Klagend blies er die Trompete
Durch der Nacht einsamen Schauer;
Manch ein Spottwort hatt’ er spater
Drob zu horen, neckend sprach man:
Signor Werner komponier’ ein
Requiem der toten Judin.”
Sprach’s. Es lachelt’ Innocentius,
Lachelten die Kardinale;
Pflichtgemab nach hohem Vorgang
Lachelten die Kammerherren,
Selbst des dustern Carlo Dolci
Schwarmer-Antlitz wurde heiter.
Sprach der Papst dann: “Meine Herren,
Achtung vor dem deutschen Meister!
‘s war’ zu wunschen, dab manch andrer
Der sich nachts verstohlen fortschleicht,
Auch zur app’schen Strabe ginge.
Signor Werner steht in meiner
Vollen Gnad’, ich werd’s ihm morgen
Zeigen; morgen, wenn ich recht weib,
Hab’ ich auch der Frau Abtissin
Eine Audienz bewilligt.”
In der Fruh des ersten Juli
Sechzehnhundertneunundsiebzig
Ging die Sonne mit besondrem
Wohlbehagen uber Rom auf.
Kuhlend rauscht die Tramontana
Durch die Myrten und Zypressen
In dem vatikan’schen Garten,
Und die Blumen hoben freudig
Duften die versengten Haupter.
Auf dem riesengroben ehrnen
Pinienzapfen, der am Grabmal
Hadriani einst geprangt hat
Und jetzt bei Jasmin und Rosen
Als zufriedner Pensionar lebt,
Tummelten sich die Lacerten,
Und sie schnappten nach den Mucklein,
Die im Sonnenscheine tanzten.
Brunnen sprangen, Vogel sangen,
Selbst den blassen Marmorstatuen
Ward es lebenswarm zumut,
Und der Satyr mit der Flote
Hob den Fub, als wollt’ er von dem
Postament in Garten tanzen;
Warnend winkte ihm Apollo:
“Freund, die Zeiten sind voruber,
Und du wurdest dich blamieren.”
Sonnig grubte das jenseit’ge
Rom zum Vatikan heruber,
Aus dem Meer von Hausern, Kirchen
Und Palasten ragte stolz der
Quirinal, und ferne hob sich
Der kapitolin’sche Hugel,
Violetter Duft umzog ihn.
Durch des Boscareccio grunen
Laubgang schimmerte des Papstes
Weib Gewand; er hatte gnadig
Der Abtissin und dem Fraulein
Dorten Audienz gegeben,
Die Abtissin trug den Trost, dab
Ihren Rechtsstreit man baldtunlichst
In Erwagung ziehen werde.
Doch zu Margareta sprach der
Heil’ge Vater: “Sonder Trost darf
Keiner heim aus Roma pilgern,
Und als Arzt der Seele mub ich
Euch vor kunft’ger Ohnmacht huten.”
Und dem Diener winkt’ er leise:
“Holt mir der Kapelle Meister!”
Werner kam; – zum stattlich schonen
Mann war er gereift im Suden.
Seit, ein hoffnungsloser Freier,
Aus dem Schlob am Rhein er ausritt,
Hatt’ des Lebens wilde Sturmflut
Tuchtig ihn herumgewirbelt,
Gerne mocht’ ich noch erzahlen;
Wie er vieler Menschen Land sah,
Wie er ubers Meer gefahren
Und mit den Maltesern gegen
Turkische Korsaren kreuzte,
Bis zuletzt der sonderbare
Zufall ihn nach Rom verschlug, –
Doch mein Sang wird ungeduldig,
Wie ein Fuhrmann knallt er mit der
Peitsche vor der Tur und ruft mir:
“Vorwarts, vorwarts! und zum Schlusse!”
Werner kam – betroffen sah er
Margareta; zweimal, dreimal
Sah er stumm zu ihr hinuber,
Doch sein Blick besagte mehr als
Ein gedruckter Foliantband.
‘s war der Blick, mit dem Odysseus
Bei der Freier Leichen sitzend
Einst zur Gattin sah, von der ihn
Zwanzig Jahre herber Irrfahrt,
Herber Duldung ferngehalten.
Innocentius der Elfte
War ein guter Herr und war ein
Psycholog. Leutselig sprach er:
“Was die Vorsehung in gnad’gem
Walten hier zusammenfuhrte,
Nimmer soll’s das Leben trennen.
Gestern in Sankt Peter, heute
In dem vatikan’schen Garten
Hab’ ich klar mich uberzeuget,
Dab ein Fall hier vorliegt, welcher
Papstlicher Entscheidung harrt.
‘s ist ein machtig Wesen, was man
So gewohnlich Liebe nennet,
Feiner als das Licht durchdringt sie
Alle Fugen, alle Ritzen
Dieser Welt, der Stuhl Sankt Petri
Selber wird von ihr behelligt,
Und sie bittet uns um Beistand.
‘s ist ein freudiger Beruf des
Oberhaupts der Christenheit,
Treuer Liebe manchen Haken,
Manchen Stein des Hindernisses
Ebnend aus dem Weg zu raumen.
Unter allen Volkern aber
Sind’s die Deutschen, die am meisten
Uns damit zu schaffen machen.
So kam schon der Graf von Gleichen
Aus dem heil’gen Land nach Rom mit
Turk’schem Ehweib, ohnerachtet
Sein zu Haus die Gattin harrte.
Die Annalen melden jetzt noch
Die Verlegenheit, in die er
Damals unsern Vorfahr setzte.
So kam auch der unglucksel’gste
Aller Ritter, der Tannhauser:
›Papst Urbane, Papst Urbane,
Heil den Kranken, den die bose
Venusin in ihrem Berge
Sieben Jahr’ gefangen hielt!‹
Heute ist der Fall ein andrer,
Viel anmut’ger, – auch betrifft er
Kein kanonisch Hindernis.
Nur ein klein Bedenken – wenn ich
Recht weib – bei des Frauleins Vater.
Ihr, Herr Werner, dientet brav mir.
Doch ich las aus Eurer stillen
Resignierten Pflichterfullung,
Dab Ihr wie der Vogel in dem
Kafig ungern nur gesungen.
Oft erbatet Ihr den Abschied,
Den ich Euch versagt’, ich wurd’ auch
Heute nimmer ihn gewahren,
Wenn’s der Brauch erlaubte, dab der
Papstlichen Kapelle Meister
Eines Ehweibs sich erfreute;
Doch Ihr wibt, man soll in Rom die
Überlief’rung heilig halten;
Palestrina selber mubte
Deshalb in die Fremde ziehen.
Ich entlab Euch drum in Gnaden,
Und dieweil des Frauleins Vater
Einst den Namen Werner Kirchhof
Viel zu einfach fand, ernenn’ ich
Euch zum Ritter meines Hofes,
‘s ist nicht Euer Wunsch, ich weib es,
Wen die Kunst geadelt, dem ist
Solcher Schmuck unnutzes Beiwerk,
Doch das gnad’ge Fraulein findet
Es vielleicht zweckmab’ger, wenn sie
Dem Marchese Camposanto
Ihre Hand reicht, als dem schlichten
Spielmann Werner. – Kraft der Vollmacht,
Die mir ward, zu losen und zu
Binden, leg’ ich Eure Hande
Jetzt zusammen und verlob’ Euch,
Selbst lieblose Zeit erfreut sich
An dem Vorbild treuer Liebe,
Und Ihr gabt es; – seid drum glucklich
Und empfahet meinen Segen.”
Sprach’s; er sprach es fast mit Ruhrung.
Dankerschuttert kniete Werner,
Kniete Margareta vor dem
Heil’gen Vater; die Abtissin
Weinte, dab das Gras verwundert
Aufsah, ob’s vom Himmel regne.
Und mit der Abtissin Tranen
Schliebt geruhrt auch die Geschichte
Von dem jungen Spielmann Werner
Und der schonen Margareta.* * *Doch wer wandelt noch spatabends
Durch den Korso, und wer schleicht sich
In ein finster Seitengablein?
‘s ist der treue Kutscher Anton.
Freude jubelt ihm im Herzen,
Und der Freude gibt er ihren
Richt’gen Ausdruck in dem Weinhaus,
In dem Weinhaus del Faccino.
Heute trinkt er nicht den leichten
Landwein aus der Fogliette,
Heute trinkt aus strohumflochtner
Korbflasch’ er den Orvieto
Und den Monte Porzio.
Scheiben klirren, Scherben splittern,
Denn jedwede leere Flasche
Wirft er wurdig durch das Fenster.
Indigniert zwar, ob des Öls, das
Auf dem Wein schwimmt wie Kometen
In dem Luftraum, doch begeistert
Trinkt – und trinkt – und trinkt der Treue.
Nur in einer Pause, wahrend
Ihm der Wirt die sechste Flasche
Aus dem Keller holet, spricht er:
“Freu dich, altes Kutscherherze,
Bald darfst du die Roblein schirren,
Balde darfst und heimkutschieren.
Von dem Standpunkt eines Kutschers
Ist dies Welschland eine traurig
Tief zuruckgebliebne Gegend,
Schlechte Straben, teure Zolle,
Dumpfe Stalle, durrer Hafer,
Fuhrwerk roh! – mein Auge fuhlt sich
Stets beleidigt, sieht es diese
Stiergezognen Zweigespanne.
Und es fehlt die Grundbedingung
Bessern Zustands, das gediegne
Institut des deutschen Hausknechts.
O wie schwer vermib’ ich diesen!
O wie freu’ ich mich, den ersten
Mann mit Schurz und Zipfelkappe
Wieder zu begruben, – wahrlich,
Ich umarm’ ihn und ich kuss’ ihn.
Heimkehr, Heimkehr – wunderbare
Überraschung! Niemals war ich
So erfullt von meiner hohen
Kutscherpflicht wie gegenwartig;
Stolz im Trab, wie nie ein welscher
Fuhrmann ihn im Traum getraumt hat,
Fuhr’ ich meine Damen und Herrn
Werner durch Florenz und Mailand.
In Schaffhausen halten wir die
Letzte Nachtruh’, doch ein Bote
Mub mir unverzuglich reiten,
Und das ganze Stadtlein mub er
Alarmieren: ›Rustet Fahnen,
Ladet die Kanonen tuchtig,
Baut auch eine Ehrenpforte!‹
Drauf am nachsten Abend ziehn wir
Festlich durch das alte Tor ein,
Festlich knall’ ich von dem Bocke,
Dab die Rathausfenster drohnen,
Und ich hor’ den alten Freiherrn,
Wie er unwirsch fragt: ›Was soll dies
Schieben, Jubeln, Fahnenschwenken?‹
Schon von weitem ruf’ ich ihm dann:
›Heil ist unserm Haus begegnet,
Und ein Brautpaar kommt gefahren,
Herr, ich bring Euch Eure Kinder!‹
Keiner soll den Tag vergessen!
Zur Erinnrung soll der Kater
Hiddigeigei eine echte
Italien’sche Rauchwurst fressen,
Und zum ewigen Gedachtnis
Mub der Herr Schulmeister mir ein
Feingedrechselt Lied verfert’gen,
‘s kommt mir nicht drauf an, es darf selbst
Zwei Brabanter Taler kosten.
Und am Schlusse mub es heiben:
›Liebe und Trompetenblasen
Nutzen zu viel guten Dingen,
Liebe und Trompetenblasen,
Selbst ein adlig Weib erringen;
Liebe und Trompetenblasen,
Mog’ es jedem so gelingen,
Wie dem Herrn Trompeter Werner
An dem Rheine zu Sakkingen!”Ende