Lieder eines Sunders. 40. Sohn der Zeit
Schon floh die Mitternacht. – Noch aber pocht’s –
Durch meine Brust wie ein titanisch Wollen,
Das nach der That wie nach Erlцsung dьrstet –
Das vor der That wie vor der Hцlle schaudert..
Ich fьhle meine Schultern atlasstark,
Es blitzt mein Blick – es blьht mein junges Mark –
Wie ein Gigant mцcht’ aus den Angeln heben
Ich diese morsche, pestzerfressne Welt
Und einer neuen neues Leben geben,
Drin sich das Ew’ge makellos behдlt. . .
Nun lastet’s auf mir wie Myriaden Sьnden,
Die mich zerschnьren und zerstampfen,
Wie Wahnsinnsfratzen mir das Hirn umdampfen,
Wie Hurenatem meine Seele schinden. . .
So such’ ich, schwдrmend in des Weltalls Weiten,
Vergangenheit und kьnft’ge Ewigkeiten –
Durchfьhlend auf sekundenkurzer Spur,
Vor mir zu flieh’n in gцttergroЯem Wagen,
In mдnnlich starkem, freiem Weltentsagen –
Und nie entrinnst du dir, o Creatur! . . .
Es ekelt mich der Menschheit Wьrmerbrut –
Nun wдchst mein Herz in der Begeistrung Glut –
Sie gleitet hin wie kraftlos flьcht’ge Wellen,
Die aufwдrts steigen, wieder zu zerstдuben –
Sich einen Augenblick
In namenlosem Glьck
Als Weltenspiegel zu betдuben. . .
Das macht: ich bin – o grenzenloser Hohn! –
Ich bin der Zeit getreuer, echter Sohn!
Ich muЯ die Wunden fьhlen, die ihr Leib
Wie ein zerschдndet, ehrenloses Weib
Mit sich herumschleppt, prunkend bald –
Bald schamgekrьmmt – – ich muЯ – ich muЯ
Sie fьhlen, wie der Dichter nur sie fьhlt,
Dem Nichts den FeuerfraЯ der Schmerzen kьhlt,
Den die Dдmonen kreuz’gen mit dem KuЯ. . .
Wie Christus, Dante, Michel Angelo,
Die Riesen, unbegreiflich vor mir ragen,
Ragt auch in diesen dunklen Zweiflertagen
Vor mir der Zeit tiefinnerstes GeheimniЯ. . .
Ich kann es fьhlen – und doch nicht begreifen,
Sein Wesen spьr’ ich durch die Seele zittern,
Doch find’ ich nicht die Lцsung, die es tilgt. . .
Es schьrt in mir – sein Atem sд’t Verderben,
Die Brandung schreit – und Stьrme, sie erschьttern,
Entwurzeln mich – doch ob die Brust auch brьllt,
Nach Wahrheit, wie der Leu nach Freiheit brьllt,
Den sie gefangen hinter Eisengittern:
Die Sehnsucht meiner Seele wird doch nie gestillt. .
Der Zeit Geschwьre kann ich nicht verwinden –
Es lasten auf mir ihre harten Sьnden –
Ich bin der Sohn der Zeit – doch ach! ihr Gцtter! –
Ich bin ihr Sohn – doch nicht ihr Retter! . . .