Das verwunt tigertier
In dem kurzen ton Hans Sachsen.
26. juni 1545.
1.
Ein tigertier, das wont in einem walt,
darinnen war der tierlein manigfalt,
uber die all das tigertier war kune
Es het sein stande auf einem plan ser weit,
besorgt sich vor keiner geferlikeit,
wan es war als vol meienblut und grune.
In einem hag verborgen lag
ein jeger, het gelauscht den ganzen tag
schob mit dem armbrost heimlich aus der hecken
ein scharfen stral ins tigertier, zu stunt
es in das hinterdich heftig verwunt
und tet das starke tier heftig erschrecken.
2.
Ein fuchs der sprach: “wer hat dich so verwunt?”
das tigertier sprach mit seufzendem munt:
“mein feint ist hinter mir heimlich verborgen,
Der mich hat hinter ruck also entleibt.”
Esopus dise fabel uns beschreibt,
daraus lert er uns, alzeit sten in sorgen,
Weil mancher man nichts bos hat tan,
stet sicher da auf aller eren plan
unschuldig gar, beide an mund und hande
und hat nach tugent alle zeit gestrebt
und erbar wie ein biderman gelebt,
das er furcht gar kein bos geschrei noch schande;
3.
Aber des schentling schnoden klaffers munt
in hinterwertling durch sein zungen wunt,
durch neit und hab, doch heimlich und verborgen
Und bringet auf in ein falsches gezucht,
macht stinkent im sein gut erlich gerucht
und stobt in erst in heimlich angst und sorgen.
Darum man spricht: vor eim boswicht
und bosem maul kan man aufheben nicht,
aber vor eim dieb kan man wol einschlieben;
auch ist eins klaffers giftig zunge los
ei! erger vil, dan ein scharfes geschob,
die hinter ruck tut die unschulding schieben.