Prometheus
Abgeleitet aus dem 1906 entstandenen
unveroffentlichten Jugendwerk “Erwins Tod”
1.
Mit wuchtigen Schlagen war der Sturm gefahren,
nun fallt im aufgewuhlten Meer zu Tod
die Sonne und in schiefergrauen Scharen
wehn Regenweiber durch des Abends Rot
und schaun der Sonne nach, wie sie verloht.
Die Welt ist still und still verblabt das Bild.
Da weckt ein Flugelrauschen mich, da droht
ein Schwarm von Adlern uber mir, da schrillt
ihr Ruf und reibt mich zu des Himmels blankem Schild.
2.
Von zweier Klaun ergriffen hob mich linde
der braunen Riesenschwingen sanfter Schlag
durch Hagelwolken hoch und Wirbelwinde.
Und wahrend unter mir der mude Tag
in siechen Nebelschwaden welkend lag,
von neuem brach die Sonne gluhend hoch
und kronte mich mit ihrem Gold: so wag
es Adlerpaar, und flieg durch Wolkgewog
und Dunste hoch zum Äther wie noch Keines flog.
3.
Schon sind die Wolken und der Erde Lande
zum rollenden Globen fest in eins geballt,
schon breitet sich die Welt wie Silbersande,
schon hat den oden Raum sie eingekrallt
als schimmernd bleiche Riesenringgestalt,
die still in ihren kreisenden Spiralen
vom Ende sich zum Anfang walzt, – da prallt
mein brausend Adlerpaar zuruck, da strahlen
ob unsern Haupten gleich hell flammenden Fanalen
4.
ankundend die Geburtsstund einer Welt
des Lichtes Wogen, wie vom Sturm zerzaust
und gischtend wie vom Brandungsfels zerspellt:
hindurch, o Adlerflug! Und wo es braust
von andren Sonnen, andrer Sonnen Faust
der rollenden Planeten Republik
an unsichtbaren Zugeln lenkt, umsaust
vom Äthersturme sturm, mein Adlergluck,
durchbrich den Ring der Welt, mein fliegend Sturmgeschick!
5.
Durchbrich den Hades und die narrenden Schatten,
o meine hohenbrausende Natur,
durchbraus der Sterne und der Nebelmatten
gehaufte Ringe und Spiralen nur! –
Die Welt versinkt und sonder Pfad und Spur
ergreift das Dunkel uns, und unter mir
seh ich der Welten rollende Struktur
im Riesenkreis sich winden voller Gier
und Qualen her und hin wie ein zerplagtes Tier.
6.
Der ungeheuren Hohe wust Gewand
mit schwarzen Seidenfransen mich umflattert –
und in dies ewig unbetretene Land
von einem Eisorkane rings umgattert
und gelben Hagelwettern wirr umknattert
ich meiner Adler Riesenschwingen zwang!
Die Feder staubt, der wilde Hagel rattert –
im Sturmeknaul den Ring ich stolz durchdrang,
da unter mir das letzte Licht der Welt versank.
7.
Nun hullt mich ein das flatternd schwarze Kleid,
nun schwimme ich in grandiosen Nachten,
nun presse ich hervor, was ich an Leid
zu schurfen weib aus meiner Seele Schachten,
um es zu Geibeln kreuzweis zu verflechten,
und peitsche meine Flugelrosse wund
und zwinge meine Rauber mir zu Knechten:
ihr ribt mich von der Erde stillem Grund,
nun tragt mich zu des Ruhmes goldnem Sonnenrund!
8.
Ich geb euch alles, wenn ihr hoch mich bringt,
mein Blut soll tranken eure braunen Schwingen,
mein Herzblut, wenn ihr jene Sonne zwingt!
O fliegt! zu meinem Schopfer will ich dringen
und ihn mit meiner Kinderfrage niederringen:
warum? warum? O du! warum? – Mir blieb
auf Erden nichts, nun biet ich mich den Klingen
des Frostes dar, und was mir selber lieb
an mir noch ist, ist dieser Ruhm – und Rachetrieb. – –
9.
In seiner unermeblich oden Leere
geformt wie eines Nebels feinen Zug,
der los sich lost vom grauen Nebelmeere
in einem abendkuhlen Erlenbruch,
der Raum ein Dunstgeschiebe schwebend trug.
Das leuchtete, wie wohl ein Weidenstumpf
in Fruhlingsnachten leuchtet, wenn der Flug
der liebestollen Eulen und ihr dumpf
Geheule schaurig geistert uber See und Sumpf -:
10.
hoch stehe ich auf meiner Adler Rucken,
die blutgetrankte Geibel schwingt die Hand
und weist zu jener gasigen Nebelbrucken,
die eine Öde an die andre bannt;
nun turmt sich’s hoch, nun drangt sich Phosphorbrand
und Dunst um uns in bleichen Wolkenballen –
die Spur verflogen und den Weg verrannt,
hintaumeln wir in giftigen Nebelhallen,
der Atem keucht, die Schwinge bricht, wir fallen, fallen -.
11.
Da reib ich Fetzen Fleisch aus meiner Brust,
zerbeibe mit den Zahnen meine Adern
und stille ihre gierdevolle Lust –
zuruck zu jenen giftgen Dunstgeschwadern!
Mit meinem Schopfer labt mich grimmig hadern,
in tiefste Heiligtumer will ich dringen,
in seines eignen Demantbaues Quadern
mit meinem Gotte Aug in Auge ringen
und ihn mit meiner Kinderfrage niederzwingen!
12.
– – – – – – noch immer tiefe Nacht!
Da wuhlt und nagt in mir der Zweifel Streit
und drauben lullt der Frieden leis und sacht
sich selber ein! Ein heiber Zwiespalt schreit
durch meine Welt! Mit einem Herzen weit
geoffnet aller Sinnen bunten Formen
vereinigt sich ein Drang nach Wesenheit,
nach grauen Formeln und nach ewigen Normen:
ich seh in Nymphen stets Sibyllen nur und Nornen.
13.
Das ist des Glaubens unheilvoll Vermachtnis,
des suben Kinderglaubens schwerer Fluch,
der Ammenworte untilgbar Gedachtnis!
Der Vatergott, den ich in mir erschlug,
der kleidet sich in Spuk und Schementrug
und geistert nun als “Ding” und als “Substanz”,
als “Wahres Sein” und “Letzter Grund” -, genug,
solange dieser bleiche Schementanz
noch spukt, ist zwiefach meines Lebens schoner Sinnenkranz. –
14.
Da atmete die Nacht und ein Arom
von bluhendem Roggenkorn dem Hauch entsank
und Flut auf Flut flog durch den blauen Dom
der liebeswilden Nachtigall Gesang –
Was singt sie nur? Welch letzter Grund nur zwang
in solche kleine Brust solch wildes Sehnen?
Und grade diesen Ton? Und diesen Klang?
Ach! in des Lebens tiefsten Wollustszenen,
umwogt von Liebesduften sub wie der Verbenen,
15.
druckt mich im Taumel deiner weiben Glieder
von hochsten Lusten schmerzlich sub zerrissen
der alte Zweifel ewig qualend nieder:
mich peinigt auf der Liebe Seidenkissen,
mich martert unter wollustwutigen Bissen
die ewig qualenvolle letzte Frage:
warum dies nur? Und in den Finsternissen
der Gottheit suchend tief versenkt, zernage
ich meiner Jugend taumelbunte Wundertage. – –
16.
Aus krauser Formeln Hieroglyphenstil,
aus blauer Nacht und weiben Madchenhuften
aus aller Sinne purpurnem Gefuhl –
durchwirkt mit schwarzen Lettern heiliger Schriften,
durchtrankt mit Vogelsang und Roggenduften
sinkt wie ein sammetweiches Tuch der Schlaf
auf mich und fuhrt zu tiefsten Felsengruften
mich unter eines linden Traumes Architrav –
mich Gotterfeind und widerwilligen Hierograph!
17.
Nun wandre ich in Beni Hassans Grabe,
im tiefen Felsenschob der Pyramiden
und wanke, wanke hin am goldnen Stabe
des Schlafs und trinke suben Seelenfrieden. –
Der wilde Vater der Ozeaniden
lehnt seinen Dreizack an des Berges Wand,
da glattet sich der Wogen wallend Sieden
und ihres Wutens schaumender Unverstand
und es verperlt der Kamme kochend weiber Rand.
18.
Doch steigt die Nacht herauf mit tausend Sternen,
auf seinem harten Lager stohnt das Meer,
und ruhlos walzt sich in den grauen Fernen
das blaue Ungeheuer hin und her.
Es schlaft, und seiner Wellen rauschend Heer
begleitet seiner Traume leere Leiden -:
der Ekel vor der Tage Wiederkehr
und was da stohnt in wusten Wasserweiten
ist nur die Qual der grenzenlosen Einsamkeiten!
19.
Die Amsel ruft! Mit goldstaubschweren Handen
umfabt der Morgen meine Seele wieder
und fuhrt sie aus des Schlafes Felsenwanden
zuruck in ihre weichgelosten Glieder.
Dann streicht er kosend uber Brau’n und Lider
mit seiner Morgenrote ersten Strahlen,
und kniet vor meinem Lager leise nieder
und trauft auf meine Lippen abermalen
der Hoffnung Tau aus heckenrosenroten Schalen.
20.
Ein neuer Tag! Gottlob ein neuer Tag!
Und neue Hoffnung, heut das Wort zu finden,
in dessen Klang die Welt ich lieben mag,
mit dessen Lettern – wie mit Heckenwinden,
die Schilf und Baum zu einem Grun verbinden –
ich meine Welt an andre knupfen kann.
Ein neuer Tag! Es rollt aus Abgrundsgrunden
das Ungeheure purpurgolden an –
im Ungeheurn das Ungeheuerste gerann. –
21.
Schon trank mit ihren durstigen Strahlenzungen
die Sonnenglut der Taler Nebelseen
und warf sich leuchtend dann und honigtrunken
von dieser Blume, die – wer weib fur wen? –
im Äther bluht, in kobaltblaue Hohn.
Nun liegt die Welt wie aus dem Nichts entsprungen
und wie ein Meisterkunstwerk anzusehn,
das meinem Sinnen muhelos gelungen,
in krausen Waldern und in grunen Niederungen.
22.
Du meine trunkne Sonne, Wald und Tal,
ihr blauen Hohn und silberhellen Weiher,
ihr Baume, Blumen, Graser ohne Zahl –
o meine lichtdurchstromte Morgenfeier!
Ich schwebe uber euch, ein Riesengeyer,
und schwore mir den souveranen Schwur:
ich schuf euch! o bei meiner goldnen Leyer!
ich schuf die Welt, ich weckte die Natur,
und auber mir ist nichts! – Und doch – was will ich nur?