Der Bruder Graurock und die Pilgerin
Ein Pilgermadel, jung und schon,
Wallt’ auf ein Kloster zu.
Sie zog das Glocklein an dem Thor,
Und Bruder Graurock trat hervor,
Halb barfub ohne Schuh.
Sie sprach: “Gelobt sei Jesus Christ!” –
“In Ewigkeit!” sprach er.
Gar wunderseltsam ihm geschah,
Und als er ihr ins Auge sah,
Da schlug sein Herz noch mehr.
Die Pilgerin mit leisem Ton,
Voll holder Schuchternheit:
“Ehrwurdiger, o meldet mir,
Weilt nicht mein Herzgeliebter hier
In Klostereinsamkeit?” –
“Kind Gottes, wie soll kenntlich mir
Dein Herzgeliebter sein?” –
“Ach! An dem grobsten harnen Rock,
An Geisel, Gurt und Weidenstock,
Die seinen Leib kastein.
Noch mehr an Wuchs und Angesicht,
Wie Morgenroth im Mai,
Am goldnen Ringellockenhaar,
Am himmelblauen Augenpaar,
So freundlich, lieb und treu.” –
“Kind Gottes, o wie langst dahin,
Langst todt und tief verscharrt!
Das Graschen sauselt druber her;
Ein Stein von Marmel druckt ihn schwer;
Langst todt und tief verscharrt!
Siehst dort, in Immergrun verhullt,
Das Zellenfenster nicht?
Da wohnt’ und weint’ er und verkam
Durch seines Madels Schuld, vor Gram,
Verloschend wie ein Licht.
Sechs Junggesellen, schlank und fein,
Bei Trauersang und Klang,
Selbst trugen seine Bahr’ an’s Grab,
Und manche Zahre rann hinab,
Indem sein Sarg versank.” –
“O weh! O weh! So bist du hin?
Bist todt und tief verscharrt? –
Nun brich, o Herz, die Schuld war dein!
Und warst du wie sein Marmelstein,
Warst dennoch nicht zu hart.”
“Geduld, Kind Gottes, weine nicht!
Nun bete desto mehr!
Vergebner Gram zerspellt das Herz;
Das Augenlicht verlischt von Schmerz;
Drum weine nicht so sehr!” –
“O nein, Ehrwurdiger, o nein!
Verdamme nicht mein Leid!
Denn meines Herzens Lust war er;
So lebt und liebt kein Jungling mehr
Auf Erden weit und breit.
Drum lab mich weinen immerdar
Und seufzen Tag und Nacht,
Bis mein verweintes Auge bricht
Und lechzend meine Zunge spricht:
Gottlob! Nun ist’s vollbracht!” –
“Geduld, Kind Gottes, weine nicht!
O seufze nicht so sehr!
Kein Thau, kein Regentrank erquickt
Ein Veilchen, das du abgepfluckt,
Es welkt und bluht nicht mehr.
Huscht doch die Freud’ auf Flugeln, schnell
Wie Schwalben, vor uns hin.
Was halten wir das Leid so fest,
Das, schwer wie Blei, das Herz zerprebt?
Lab fahren! Hin ist hin!”
“O nein, Ehrwurdiger, o nein!
Gib meinem Gram kein Ziel!
Und litt’ ich um den lieben Mann,
Was nur ein Madchen leiden kann,
Nie litt’ ich doch zu viel. –
So seh’ ich ihn nun nimmermehr?
O weh! nun nimmermehr? –
Nein! Nein! Ihn birgt ein dustres Grab;
Es regnet drauf und schneit herab,
Und Gras weht druber her. –
Wo seid ihr Augen, blau und klar,
Ihr Wangen, rosenroth,
Ihr Lippen, sub wie Nelkenduft? –
Ach! Alles modert in der Gruft,
Und mich verzehrt die Noth.”
“Kind Gottes, harme so dich nicht!
Und denk’, wie Manner sind!
Den meisten weht’s aus einer Brust
Bald heib, bald kalt; sie sind zur Lust
Und Unlust gleich geschwind.
Wer weib, trotz deiner Treu’ und Huld
Hatt’ ihn sein Loos gereut,
Dein Liebster war ein junges Blut
Und junges Blut hegt Wankelmuth
Wie die Aprillenzeit.”
“Ach nein, Ehrwurdiger, ach nein!
Sprich dieses Wort nicht mehr!
Mein Trauter war so lieb und hold,
War lauter, acht, und treu wie Gold
Und aller Falschheit leer.
Ach! Ist es wahr, dab ihn das Grab
Im dunkeln Rachen halt?
So sag’ ich meiner Heimat ab
Und setze meinen Pilgerstab
Fort durch die weite Welt.
Erst aber will ich hin zur Gruft;
Da will ich niederknien;
Da soll von Seufzerhauch und Kub
Und meinem Tausendthranengub
Das Graschen frischer bluhn.”
“Kind Gottes, kehr’ allhier erst ein,
Dab Ruh’ und Kost dich pflegt.
Horch! wie der Sturm die Fahnen trillt
Und kalter Schlobenregen wild
An Dach und Fenster schlagt.”
“O nein, Ehrwurdiger, o nein!
O halte mich nicht ab!
Mag’s sein, dab Regen mich befallt!
Wascht Regen aus der ganzen Welt
Doch meine Schuld nicht ab.” –
“Heida! Fein’s Liebchen, nun kehr’ um!
Bleib hier und troste dich!
Fein’s Liebchen, schau’ mir in’s Gesicht! –
Kennst du den Bruder Graurock nicht?
Dein Liebster, ach! – bin ich.
Aus hoffnungslosem Liebesschmerz
Erkor ich dies Gewand.
Bald hatt’ in Klostereinsamkeit
Mein Leben und mein Herzeleid
Ein hoher Schwur verbannt.
Doch, Gott sei Dank! mein Probejahr
Ist noch nicht ganz herum.
Fein’s Liebchen, hast du wahr bekannt?
Und gabst du mir wol gern die Hand,
So kehrt’ ich wieder um.” –
“Gottlob! Gottlob! Nun fahre hin
Auf ewig Gram und Noth!
Willkommen! o willkommen, Lust!
Komm, Herzensjung’, an meine Brust!
Nun scheid’ uns Nichts als Tod!”