Über den Ursprung des Übels 3. Buch
O Wahrheit! sage selbst, du Zeugin der Geschichte!
Wer machte Gottes Zweck und unser Gluck zunichte?
Wer wars, der wider Gott die Geister aufgebracht
Und uns dem Laster hold, uns selber feind gemacht?
Verschieden war der Fall verschiedner Geister-Orden:
Der einen Trefflichkeit ist ihr Verderben worden,
Die Kenntnis ihres Lichts gebar ihr Finsternis,
Sie hielten ihre Kraft fur von sich selbst gewib
Und, voll von ihrem Glanz, verdrublich aller Schranken,
Mibkennten sie den Gott, dem sie ihn sollten danken;
Ihr allzu starker Trieb nach der Vollkommenheit
Ward endlich zum Gefuhl der eignen Wurdigkeit;
Ihr Stolz fing an in Hab die Furcht vor Gott zu kehren,
Als ohne den sie selbst der Wesen erste waren.
So wich ihr Schwarm von Gott, dem Ursprung seines Lichts,
Ihr Glanz, entlehnt von Gott, fiel bald ins eigne Nichts;
Nichts blieb an ihnen gut. Gott hatten sie verlassen,
Der Liebe wahren Zweck verschwuren sie zu hassen,
Des hochsten Guts Genub war ewiglich verscherzt,
Der Sinn war mibvergnugt, des Urteils Licht geschwarzt.
In ihrem Wesen selbst, worin sie sich verstiegen,
Fand sich kein innrer Quell von stetigem Vergnugen:
Ihr Aufruhr rachte Gott, ihr Hochmut ward zur Schmach,
Das Bose war gewahlt, das Übel folgte nach;
Bis dab Reu ohne Bub, Verzweiflung an dem Heile,
Und Mibgunst ohne Macht den Frevlern ward zum Teile;
Da dort die treue Schar, die niemals Gott verlieb,
In seiner Gegenwart der Geister Paradies
Und Tag fund ohne Nacht, da ewig hoh und steigend
Ihr Stand der Gottheit naht und keinen Ekel zeugend
In der Begierd geniebt und im Genub begehrt
Und ihren Geist mit Licht, das Herz mit Wollust nahrt.
Das Übel, dessen Macht den Himmel konnte mindern,
Fund wenig Widerstand bei Adams schwachen Kindern.
Ein steter Bilder-Kreis schwebt spielend vor dem Sinn,
Der wahlt zur Gegenwart, behalt und sendet hin;
Bald hatte Lust und Zier das Ernstliche verdrungen,
Der Muh und Tugend Bild schien trocken und gezwungen,
Die Seele hangte sich an Ruh und Lustbarkeit,
Der Tugend Kraft nahm ab durch die Abwesenheit;
Auch lockt der Leib zur Lust mit zartlicher Verbindung,
Bedacht wich dem Genub und Kenntnis der Empfindung.
Zudem, was endlich ist, kann nicht unfehlbar sein.
Das Übel schlich sich auch in uns durch Irrtum ein.
Der schwache Geist verlor der Neigungen Verwaltung,
Wir wendeten in Gift die Mittel der Erhaltung,
Die Triebe der Natur mibkennten Ziel und Mab,
Bis das, was himmlisch war, sein hoh’ Geschick vergab.
Der Schonheit Liebe trieb zu unerlaubten Lusten,
Die Sorg um Unterhalt zu Hab und bittren Zwisten;
Der Ehre rege Sucht schwoll in den Herzen auf.
Gewissen und Vernunft hemmt zwar des Übels Lauf,
Doch ihr verhabter Mund, voll unberedter Lehren,
Behielt allein das Recht, zu tadeln, nicht zu wehren.
Wir alle sind verderbt, der allgemeine Gift
Ist beide Welten durch den Menschen nachgeschifft.
Gold, Ehr und Wollust herrscht, soweit der Mensch gebietet,
Und alles, was ein Herz, von diesen schwanger, brutet:
Betrug mit falschem Blick, die Lust an andrer Leid,
Verachtung fremden Werts, Verleumdung, Brut vom Neid,
Verfuhrung schwacher Zucht, der Gottesdienst des Bauches,
Fruchtloser Mubiggang, der Hunger eitlen Rauches,
Und so viel Seuchen mehr, von denen undurchwuhlt
Kein Herz mehr ubrigbleibt, das echte Frucht erzielt.
Verschiedene Gestalt bedeckt die Ungeheuer,
Die Kunst der Ehrbarkeit leiht manchen ihren Schleier,
Wann andrer, die die Scheu mit keiner Larve deckt,
Erborne Hablichkeit die Augen trotzt und schreckt.
Geringer Unterscheid! der auf der Haut nur lieget,
Nicht in das Innre dringt und niemand mehr betrieget!
Noch Zeit, noch Land, noch Schwang vermag auf die Natur,
Der Quell fliebt uberall, der Auslauf andert nur.
Vergebens ruhmt ein Volk die Unschuld seiner Sitten,
Es ist nur junger schlimm und minder weit geschritten:
Der Lappen ewig Eis, wo, allzu tief geneigt,
Die Sonne keinen Reiz zur Üppigkeit erzeugt,
Schliebt nicht die Laster aus, sie sind, wie wir, hinlassig,
Geil, eitel, geizig, trag, mibgunstig und gehassig,
Und was liegt dann daran, bei einem bittren Zwist,
Ob Fisch-Fett oder Gold des Zweispalts Ursach ist?
Wer von der Tugend weicht, entsaget seinem Glucke
Und beugt sein Engels-Recht zu eines Tiers Geschicke.
Die Pflichten sind der Weg, den Gott zur Wohlfahrt gibt,
Ein Herz, wo Laster herrscht, hat nie sich selbst geliebt.
Von auben fliebt kein Trost, wann uns das Innre qualet,
Uns ekelt der Genub, sobald die Notdurft fehlet;
Die Schatze dieser Welt sind nur des Leibes Heil;
Der wahre Mensch, der Geist, nimmt daran keinen Teil;
So bleibt der mude Geist bei falschen Gutern ode,
Der Ekel im Genub entdeckt das innre Blode,
Nie froh vom Itzigen, stets wechslend, keinem treu,
Erfahrt der Glucklichste, wie nichtig alles sei.
Vergebens ubertrifft das Schicksal unsre Bitten,
Die Welt hat Philipps Sohn und nicht die Ruherstritten;
Ein Tor rennt nach dem Gluck, kein Ziel schliebt seine Bahn,
Wo er zu enden meint, fangt er von neuem an.
Doch auch das Schatten-Gluck erfreut den Menschen selten,
Weil Gold und Ehre nichts als durch den Vorzug gelten;
Die Guter der Natur sind endlich und gezahlt,
Die einen werden grob von dem, was andern fehlt;
Ein Sieger wird beruhmt durch tausend andrer Leichen,
Und ganzer Dorfer Not macht einen ein’gen Reichen;
Der Schonen holdes Ja, die einem sich ergibt,
Verurteilt die zur Qual, die da, wo er, geliebt.
Wir streiten in der Welt um diese falschen Guter,
Der Eifer, nicht der Wert, erhitzet die Gemuter;
Wie Kinder (wer ist nicht in einem Stuck ein Kind?)
Oft um ein streitig Nichts sich in den Haaren sind:
Bald dies, bald jenes siegt und trotzet mit dem Balle,
Bei keinem bleibt die Lust, und der Verdrub druckt alle.
Wir schwitzen, kummern, flehn, verschwenden Zeit und Blut,
Was wir von Gott erprebt, ist endlich keinem gut.
So findt man wahre Not, wo man Vergnugen suchet,
Der Zepter wird so oft, als wie der Pflug, verfluchet.
Die Furcht, der Seele Frost, der Flammenstrom, der Zorn,
Die Rachsucht ohne Macht, des Kummers tiefer Dorn,
Die wache Eifersucht, bemuht nach eignem Leide,
Der Brand der Ungeduld, der teure Preis der Freude,
Der Liebe Folter-Bett, der leeren Stunden Last
Fliehn von der Hutten Stroh und herrschen im Palast.
Noch starker peitscht den Geist das zornige Gewissen;
Noch Macht, noch Hab von Gott befreit von seinen Bissen;
Sein furchterlicher Ruf dringt in der Fursten Saal,
In Gold und Purpur bebt Octaviens Gemahl
Und siehet, wo er geht, sosehr er sucht zu schlafen,
Vor ihm den offnen Schlund voll unfehlbarer Strafen.
Der Leib, das Meisterstuck der korperlichen Pracht,
Folgt seinem Gaste bald und fuhlt des Übels Macht.
Vollkommen hatt er einst, geschickt zu Gottes Bilde,
Die Unschuld noch zum Arzt und Einigkeit zum Schilde,
Dem Tode minder nah und vielleicht frei davon,
Nahm er teil an der Lust und nimmt itzt teil am Lohn;
Die Zeit mub seit dem Fall ihr Sandglas gaher sturzen,
Die Mordsucht grub ein Erzt, die kurze Frist zu kurzen,
Tod, Schmerz und Krankheit wird ergraben und erschifft,
Und unsre Speise macht der Überflub zum Gift.
Der Sorgen Wurm verzehrt den Balsam unsrer Safte,
Der Wollust gaher Brand verschwende des Leibes Krafte,
Verwesend, abgenutzt und nur zum Leiden stark
Eilt er zur alten Ruh und sinket nach dem Sarg.
Der Geist, von allem fern, womit er sich betoret,
Sieht sich in einer Welt, wovon ihm nichts gehoret;
Nur geht mit ihm ins Reich der oden Dunkelheit
Ein unertraglich Bild der eignen Hablichkeit.
Gold, Ehre, Wollust, Tand, wonach er sich gesehnet,
Verblendung, Selbstbetrug, worauf er sich gelehnet,
Witz, Ansehn, Wissenschaft, der Eigenliebe Spiel,
Von allem bleibt ihm nichts als des Verlusts Gefuhl.
Der Taten Unterscheid ist bei ihm umgedrehet,
Er habt, was er geliebt, und ehrt, was er verschmahet,
Und brachte, konnt es sein, jedweden Augenblick,
Worin er sich versaumt, mit Jahren Pein zuruck.
Die Wahrheit, deren Kraft der Welt Gewuhl verhindert,
Findt nichts, das ihr Gefuhl in dieser Wuste mindert;
Ihr fressend Feur durchgrabt das Innre der Natur
Und sucht im tiefsten Mark des Übels mindste Spur.
Das Gute, das versaumt, das Bose, so begangen,
Die Mittel, die verscherzt, sind eitel Folter-Zangen,
Von steter Nachreu heib. Er leidet ohne Frist,
Weil er gepeiniget und auch der Henker ist.
O selig jene Schar, die, von der Welt verachtet,
Der Dinge wahren Wert und nicht den Wahn betrachtet,
Und, treu dem innren Ruf, der sie zum Heile schreckt,
Sich ihre Pflicht zum Ziel von allen Taten steckt!
Gesetzt, dab Welt und Hohn und Armut sie mibhandeln,
Wie angenehm wird einst ihr Schicksal sich verwandeln,
Wann dort, beim reinen Licht, ihr Geist sich selbst gefallt,
Das uberwundne Leid zu seiner Wollust halt
Und innig hold mit Gott, dem Urbild ihrer Gaben,
Sie Gott, das hochste Gut, in steter Nahe haben!
Indessen ist die Welt, die Gott zu seinem Ruhm
Und unserm Glucke schuf, des Übels Eigentum:
In allen Arten ist das Los des Guten kleiner,
Wo tausend gehn zur Qual, entrinnt zur Wohlfahrt einer,
Und fur ein zeitlich Gluck, das keiner rein geniebt,
Folgt ein unendlich Weh, das keine Ruh beschliebt.
O Gott voll Gnad und Recht, darf ein Geschopfe fragen:
Wie kann mit deiner Huld sich unsre Qual vertragen?
Vergnugt, o Vater, dich der Kinder Ungemach?
War deine Lieb erschopft? ist dann die Allmacht schwach?
Und konnte keine Welt des Übels ganz entbehren,
Wie liebest du nicht eh ein ewig Unding wahren?
Verborgen sind, o Gott! die Wege deiner Huld,
Was in uns Blindheit ist, ist in dir keine Schuld.
Vielleicht, dab dermaleinst die Wahrheit, die ihn peinigt,
Den umgegobnen Geist durch lange Qualen reinigt
Und, nun dem Laster feind, durch dessen Frucht gelehrt,
Der Willen, umgewandt, sich ganz zum Guten kehrt;
Dab Gott die spate Reu sich endlich labt gefallen,
Uns alle zu sich zieht und alles wird in allen.
Dann seine Gute nimmt, auch wann sein Mund uns droht,
Noch Mab, noch Schranken an und hasset unsern Tod.
Vielleicht ersetzt das Gluck vollkommener Erwahlten
Den minder tiefen Grad der Schmerzen der Gequalten;
Vielleicht ist unsre Welt, die wie ein Kornlein Sand
Im Meer der Himmel schwimmt, des Übels Vaterland!
Die Sterne sind vielleicht ein Sitz verklarter Geister,
Wie hier das Laster herrscht, ist dort die Tugend Meister,
Und dieses Punkt der Welt von mindrer Trefflichkeit
Dient in dem groben All zu der Vollkommenheit;
Und wir, die wir die Welt im kleinsten Teile kennen,
Urteilen auf ein Stuck, das wir vom Abhang trennen.
Dann Gott hat uns geliebt. Wem ist der Leib bewubt?
Sagt an, was fehlt daran zur Nutzbarkeit und Lust?
Seht den Zusammenhang, die Eintracht in den Kraften,
Wie jedes Glied sich schickt zu menschlichen Geschaften,
Wie jeder Teil fur sich und auch fur andre sorgt,
Das Herz vom Hirn den Geist, dies Blut von jenem borgt;
Wie im bequemsten Raum sich alles schicken mussen,
Wie aus dem ersten Zweck noch andre Nutzen flieben,
Der Kreis-Lauf uns belebt und auch vor Faulung schutzt,
Der ausgebrauchte Teil von uns sich selbst verschwitzt,
Und unser ganzer Bau ein stetes Muster scheinet
Von hochster Wissenschaft, mit hochster Huld vereinet!
Soll Gott, der diesen Leib, der Maden Speis und Wirt,
So vaterlich versorgt, so prachtig ausgeziert,
Soll Gott den Menschen selbst, die Seele nicht mehr schatzen?
Dem Leib sein Wohl zum Ziel, dem Geist sein Elend setzen?
Nein, deine Huld, o Gott, ist allzu offenbar!
Die ganze Schopfung legt dein liebend Wesen dar:
Die Huld, die Raben nahrt, wird Menschen nicht verstoben,
Im Kleinen ist er grob, unendlich grob im Groben.
Wer zweifelt dann daran? Ein undankbarer Knecht!
Drum werde, was du willst, dein Wollen ist gerecht!
Noch Unrecht, noch Versehn kann vom Allweisen kommen,
Du bist an Macht, an Gnad, an Weisheit ja vollkommen!
Wann unser Geist gestarkt dereinst dein Licht vertragt
Und uns des Schicksals Buch sich vor die Augen legt;
Wann du der Taten Grund uns wurdigest zu lehren,
Dann werden alle dich, o Vater! recht verehren
Und kundig deines Rats, den blinde Spotter schmahn,
In der Gerechtigkeit nur Gnad und Weisheit sehn!
Siehe Hogstroms Beschreibung.