Der Trompeter von Sakkingen 8. Stuck
In des Herrenhauses Garten
Stehen machtige Kastanien,
Steht ein zierlich Gartenhauslein.
Tief zum Rheingrund sind gesenkt die
Fundamente der Terrasse,
‘s ist ein lauschig stilles Platzlein:
Rings der Baume grune Mauer,
Unten zieht die Welle flusternd.
Drinnen seit zwei Monden – welche ein
Fremd geheimnisvolles Treiben?
Farbentopfe, borst’ge Pinsel,
Kalk und Mortel, Mauerkelle;
Hoch Geruste ragt gezimmert
Zu des Pavillones Kuppel.
Ist’s die Werkstatt schlimmer Geister?
“‘s ist nicht Werkstatt schlimmer Geister,
Fresko wird allhier gemalet,
Und die Beine, die vom hohen
Brettverschlag herunternicken,
Sind das Eigentum des groben
Freskomalers Fludribus.”
Der, vom Welschland heimwarts kehrend,
Trieb sich lang schon hier am Rhein um,
Ihm gefiel das schmucke Landlein,
Die rotwangigen Gesichter
Und im Fab der gute Wein.
Wie ein Zaubrer war er ringsum
Von den Leuten angestaunt,
Denn er sprach von Wunderdingen.
War in seinen jungen Tagen
Nach Bologna einst geraten,
Nach Bologna auf die Kunstschul’.
Dort, im Atelier Albanis,
Bracht’ er’s bald zum Farbenreiber,
Und dem graziosen Meister
Wubt’ er’s sorgsam abzuspicken,
Wie man Gotter malt und Helden
Und die leichten Amoretten,
Ja er wirkte selbst an manchem
Kunstwerk mit durch Luftvertreiben
Oder Bodenuntermalung.
Hier am Rhein – weit in der Rund’ – war
Fludribus der einz’ge Kunstler;
Malte manchen Wirtshausschild,
Malt’ fur Kirchen und Kapellen,
Portratiert auch Bauernbraute;
Unbezweifelt stand sein Ruhm da,
Denn so einer, scheelen Blickes,
An den Werken makeln wollte:
“Hier der Arm krumm, dort die Nas’ schief,
Hier ein sehr geschwoll’ner Backen,”
Diesem warf er aus dem Vorrat
Seines theoret’schen Wissens
Solche Brocken an den Kopf, dab
Ihm vor lauter Perspektive,
Kolorit und Farbengebung,
Modellierung und Verkurzung
Der Verstand sofort drin stillstand.
Margareta, die in treuer
Liebe lang drob nachgesonnen,
Wie den Vater sie am feinsten
Zum Geburtstag uberrasche,
Sprach zum Meister Fludribus:
“- Hab’ schon viel gehort erzahlen,
Wie in Frankreich man die Schlosser
Schon mit Wandgemalden ausschmuckt.
Schafft davon ein kleines Abbild
Mir in unserm Pavillon.
Hier, der Welt entruckt, versteh’ ich
Nichts von Stoff und Anordnung,
Euch sei alles uberlassen,
Aber mubt im stillen schaffen,
Dab der alte Herr nichts wahrnimmt.”
Fludribus warf in die Brust sich.
“Unscheinbar zwar ist der Auftrag,
Aber ich halt’s mit dem Casar:
Lieber auf dem Dorf der Erste,
Als in Rom der Zweite sein.
Ohnedies ist dort schon alles
Angetuncht; im Schlob des Papstes
Hat die besten Kunstideen,
Die ich selbst im Busen hegte,
Ein gewisser Rafael schon
Fruher an die Wand gemalt.
Aber Grobes werd’ ich leisten,
Malen werd’ ich nach der Technik
Buffalmacos, der mit Rotwein
Glut der kalten Freskofarbe
Eingehaucht: den schafft vor allem,
Schafft auch reichlich andre Atzung.
Nicht begehr’ ich reichen Lohn sonst,
Hochgenub gilt der Gedank’, dab
In monumentaler Schopfung
Sich mein Pinsel wird verew’gen.
Male drum fast gratis, – mal’ fur
Sieben Schilling den Quadratfub.”
Also malt’ er schon zwei Monden
In des Kuppeldachs Geviertraum,
Malt’ nach Buffalmacos Technik,
Denn den Rotwein trank er selber;
Die Kompositionen waren
Elegant, voll Zielbewubtsein
Und grazioser Auffassung.
In dem ersten Felde prangte
Perseus und Andromeda.
Tot zu ihren Fuben lag der
Meerdrach’, dieser hatt’ ein feines
Menschenahnlich Angesicht und
Kokettierte noch im Sterben
Mit der schonen Meergefangnen.
Weiter sah man Paris Urteil.
Dab der Blick nur auf dem Helden
Weile, von der Gotterdamen
Schonheit ungeblendet, schauten
Diese einwarts in die Landschaft,
Und man sah sie nur von hinten.
Gleicher Geist weht durch die andern
Bilder: Diana und Actaon,
Orpheus und Eurydike.
Denn aus alter Gottersage
Nimmt der Mann von Geist den Stoff her,
Und im Nackten nur erscheint der
Schonheit Offenbarung plastisch.
Nun vollendet war die Schopfung,
Und mit Ruhrung sah’s der Meister:
“Ruhig steig’ ich nun zum Hades;
Meine Werke sind mein Denkmal.
In des Oberrheins Kultur wurd
Eine neue Kunstepoche
Einst von Fludribus datieren.”
Die geschmuckten Raume sollte
Nach dem Plane Margaretas
Ein Konzert verherrlichen.
Hei! wie schlug jung Werners Herz als
Er der Holden Wink vernahm; –
Ritt sofort gen Basel, schauend
Nach dem Neusten im Gebiete
Musikalischer Kunstleistung,
Und er bracht’ die Partituren
Des venetischen Maestros
Claudio von Monteverde,
Der im suben Schaferspiele
Sich der Tonkunst Preis errungen.
Bracht’s; das war ein grob Rumoren
In der Waldstadt kleiner Kunstwelt,
War ein heibhungrig Studieren,
Ein Einuben, Probehalten,
Unbemerkt vom alten Freiherrn.
Jetzo war der Tag gekommen,
Das Geburtstagsfest des Alten.
Mittagtafel hielt er plaudernd
Mit dem vielgeliebten Freunde,
Dem Pralaten von Sankt Blasien;
Gratulierenshalber war der
Heut zu ihm herabgefahren.
Aber drunten in dem Garten
Ward der Pavillon geschmuckt mit
Kranz und Blumen, aufgepflanzt stand
Lang die Reih’ der Notenpulte.
Und allmahlich kam geschlichen
Durch die Seitenpfort vom Rhein her
Des Orchesters treue Kunstzunft.
Kam der junge Burgermeister,
Keuchend unter seinem schweren
Kontrabab, auf dem so oft er
Sich des Amtes Last und Unmut,
Sich die Dummheit seines Stadtrats
Geigend aus dem Sinne strich,
Kam der feiste Kapellanus
Mit der Violine, die er
Schrill und grell zu spielen wubte,
Gleich als ob des Zolibates
Unbestimmtes Sehnsuchtdrangen
Er in Tonen klagen wollte.
Kam, das Waldhorn unterm Arme
Der Gehilfe vom Renteiamt,
Der, zur Pein des Vorgesetzten,
Sich die durre Zahlenarbeit
Und des Subtrahierens Öde
Mit des Waldhorns Klang belebte.
Und auch er kam angeschritten
In dem durftigen schwarzen Rocke,
In dem abgetragnen Hute,
Er, der hagre Unterlehrer,
Dem die Musica den Mangel
Des Gehalts so schon erganzte,
Der, anstatt mit Wein und Braten,
Sub mit Flotenspiel sich nahrte.
Kamen – doch wer zahlt die Schar der
Instrument’ und ihrer Spieler?
Die Gesamtheit musikal’scher
Kraft des Stadtleins war versammelt.
Ja, vom fernen Eisenhammer,
Von Albbruck kam der Verwalter,
Er allein der Bratsche kundig.
Wie ein Hauflein reisig Kriegsvolk,
Das, des Feinds gewartig, sich in
Sichern Hinterhalt gelegt hat,
Also lauerten des Freiherrn
Ankunft sie – und wie der Scharfschutz,
Eh’ das Treffen anhebt, sorgsam
Das Gewehr pruft, ob das Pulver
Nicht genabt vom Tau des Morgens,
Ob der Stein noch Funken schlage:
Also, blasend, streichend, stimmend,
Pruften sie die Instrumente.
Margareta fuhrte jetzt den
Freiherrn und den Gast zum Garten.
Nie gebricht’s den Frauenzimmern
An dem Vorwand, wenn es sich um
Scherz und Überraschung handelt;
Und sie pries des Gartenhausleins
Kuhle und die schone Aussicht,
Bis die beiden alten Herren
Unbefangen dorthin schritten.
Einer Salve gleich erklang bei
Ihrem Eintritt ein gewalt’ger
Tusch – ein wirbelnd toller Tongrub,
Und wie aus gehobner Schleube
Die Gewasser brausend sturzen,
Stromten drauf der Tone Wellen
Durch der Ouverture Tor den
Überraschten Herrn entgegen.
Sachverstandig dirigierte
Werner, nach dem Taktschlag schwang sich
Klingend des Orchesters Reigen.
Ha, das war ein Bogenstreichen,
War ein Schmettern, ein Gegeige!
Wie die Heuschreck’ hupfte leicht die
Klarinett’ durchs Tongewimmel,
Doch der Brummbab stohnt’, als klag’ er
Um verloren Seelenheil.
Auf der Stirne dess’, der ihn spielte,
Troff der Schweib der Pflichterfullung.
Hinten im Orchester wirkte
Fludribus, er schlug die Pauke,
Und als Mann vielseit’ger Bildung
Schlug zugleich er in den Pausen
Klingend des Triangels Stahlstab.
Mibmut flammt in seinem Herzen,
Und zum dumpfen Paukenschlag klang
Dumpf und grollend seine Klage:
“Dilettanten, glucklich Volklein!
Saugen froh den Honig aus den
Blumen, die in schweren Wehen
Nur des Meisters Brust entsprossen,
Und sie wurzen den Genub sich
Durch die gegenseit’gen Fehler.
Echte Kunst ist ein titanisch
Himmelsturmen, – Kampf und Ringen
Um die ewig ferne Schonheit,
Um Gemute nagt der Gram ob
Unerreichtem Ideale,
Doch die Pfuscherei macht glucklich!”
Langsam legte sich der Tonsturm.
Wie nach schwerem Ungewitter,
Wenn der Donner ausgehallt hat,
Am zerrissnen Wolkenhimmel
Mild der Regenbogen aufsteigt:
Also folgt’ dem Unisono
Jetzt ein zart Trompetensolo.
Werner blies es; leis und schmelzend
Floh der Klang aus der Trompete.
Doch verwundert schaute mancher
In das Notenheft – verwundert
Stieb den Kapellan der Lehrer
An den Arm und raunt ins Ohr ihm:
“Hort Ihr, wie er blast? So steht’s ja
Gar nicht in der Partitur.
Liest er etwan seine Noten
Aus des gnad’gen Frauleins Aug’?”
Ruhmlich wurde das Konzert zum
End’ gefuhrt, erschopfet saben
Dann die Spieler, doch getrostet
Im Bewubtsein des Gelungnen.
Und es wendete zu ihnen
Der Pralat sich von Sankt Blasien;
Fein verbindlich, als ein Kenner
Und gewiegter Staatsmann sprach er:
“Schwerer Krieg hat schwere Wunden
Unserm Heimatland geschlagen,
Und es hat in deutschem Gau die
Roheit allzustark geherrscht.
Lobwert drum ist’s, in der Musen
Stillem Hain sich auszuruhen,
Das erquickt und wirkt veredelnd,
Sittigt die Gemuter merklich,
Streit und Kriegeslarm verstummen.
Was hier an den Wanden pranget,
Zeugt von nicht gemeinem Streben,
Und was erst mein Ohr vernommen,
Labt mich Hohes denken von den
Mannern, die es ausgefuhrt;
Hat mich schier an junge Tage,
Hat an Welschland mich erinnert,
Als zu Rom ich Cavalieris
Tonidylle Daphne lauschte
Und in schaferlicher Sehnsucht
Mir das Herz zerschmelzen wollte.
Fahrt drum fort, Ihr werten Freunde,
Auf der Kunst Altar zu opfern,
Labt die Ton’ zusammenklingen,
Haltet fern polit’schen Hader:
O, es ware hocherfreulich,
Üb’rall solchen Geist zu treffen.”
Sprach’s, und tiefgeruhrt verbeugten
Sich die Manner des Orchesters,
Tiefgeruhrt ob so gewicht’gem
Kennerlob und Kennerzuspruch.
Auch der Freiherr schritt vergnuglich
Durch die Reihen – druckt’ die Hande,
Und er lieb sofort zum Danke
– Nicht mit Worten dankt ein Freiherr –
In den Saal ein ausgezeichnet
Stuckfab Marzenbier anschroten;
“Gut gemacht, Ihr lieben Spielleut’,
Gut gemacht, mein lieber junger
Trefflicher Kapellenmeister!
Wo zum Teufel habt Ihr all das
Schmucke Zeug nur aufgelesen?
Und auch Ihr, Herr Fludribus, habt
Gut gemalt. Just mein Geschmack so.
‘s konnten freilich Zeiten kommen,
Wo man Euren Gotterdamen
Einen Schurz aufmalen mubte,
Doch ob allzustarker Nacktheit
Schmaht Euch nicht ein alter Kriegsmann.
Jetzo labt uns eines zechen
Auf das Wohl des edlen Gastes,
Auf die tucht’gen Musikanten,
Ja, meintwegen auch aufs Wohl der
Gottinnen dort an den Wanden,
Dab der Winter hier am Rheine
Sie nicht in die Finger frier’!”
Margareta lieb die Manner
Jetzt allein, sie ahnte, dab es
Etwas larmend zugehn werde.
An der Schwelle reichte dankend
Dem Trompeter sie die Rechte;
‘s ware moglich, dab der Handdruck
Etwas inhaltsvoll gewesen,
Doch es fehlt an sichrer Kunde:
Galt er nur dem Kunstler oder
Auch dem jungen Mann als solchem?
Becher schaumten, Glaser klangen,
Es begann ein scharfes Trinken,
Und das Lied verschweigt das Ende.
Schweigt von manchem spaten Heimweg,
Schweigt auch von dem jahen Tode,
Den in selber Nacht des Lehrers
Alter Hut im Rhein erlitt.
Doch um Mitternacht, als langst der
Letzte Gast nach Haus geschritten,
Flustern leise die Kastanien.
Spricht die ein’: “O Wandgemalde!”
Spricht die andere: “O Klingklang!”
Spricht die ein’: “Ich seh’ die Zukunft,
Seh’ zwei unbarmherz’ge Manner,
Seh’ zwei grobe Anstreichpinsel,
Seh’ voll weiber Farb’ den Kubel,
Und sie decken schweigend eine
Fahle mitleidslose Tunch’ auf
Gotter, Helden, Fludribus.
Andre Zeiten – Andre Bilder.”
Spricht die andr’: Ich hor’ die Zukunft;
Hore aus denselben Raumen
Des vierstimm’gen Mannersanges
Ruhrend schlichte deutsche Weise
Auf zu unsern Wipfeln schallen.
Andre Zeiten – andre Lieder.”
Sprechen beide: “Doch die Liebe
Überdauert alle Zeiten!”