Morgen und Abend
O Morgenzeit, du frische Zeit!
Des Lebens reichste Quelle!
Du machst die enge Brust mir weit,
Das trube Aug’ mir helle!
Mir ist, als durft’ ich auferstehn
Aus einem dumpfen Grabe,
Wenn ich das erste Licht gesehn,
Den Hauch getrunken habe.
Dem Teich Bethesda gleicht mein Herz
Mit seinen frischen Saften,
Die schwellen es zu Lust und Schmerz
Mit tausend neuen Kraften:
Ihr trunknes Durcheinanderspiel
Erfullt mich mit Entzucken;
Ich weib nicht was, doch will ich viel,
Und alles mub mir glucken!
Allein, unendlich ist die Welt,
Und, wie die Brust sich dehne,
Sie fuhlt’s zuletzt, und brennend fallt
Die reine Menschentrane.
Dann sinkt des Abends heil’ge Ruh,
Als war’s auf eine Wunde,
Auf sie herab, und schliebt sie zu,
Damit sie still gesunde.
Des Menschen Kraft reicht eben aus
Zum Kampfen, nicht zum Siegen,
Wir sollen in dem ew’gen Straub
Nicht stehn und nicht erliegen;
Doch, wenn uns dies das Herz beschwert,
Naht der ersehnte Schlummer,
Und, ward der letzte Wunsch gewahrt:
Wem mach der erste Kummer?