Die Erde und der Mensch
Dich, alte Erde, mub ich etwas fragen,
Damit ich endlich mir das Ratsel lose,
Mit dem in unsern ungewissen Tagen
Sich angstlich plagt der Gute, wie der Bose.
Du magst mir, was du willst, als Antwort sagen,
Ich ruf’ es treu hinaus in das Getose
Der Millionen wild verworrner Stimmen,
Gleichgultig, ob sie jauchzen, ob ergrimmen.
Ich seh’ den holden Fruhling wiederkehren,
Und reicher war er niemals noch gestaltet,
Als wolltest du dich jedes Keims entleeren,
So hat sich uppig alles rings entfaltet,
Die Fulle hort nicht auf, sich zu vermehren,
Verschwenderisch erscheint der Geist, der waltet,
Man fragt: kann jetzt ein zweiter Lenz noch kommen?
Allein man weib: dem Herbst wird dieser frommen!
Doch deine Menschen schaun darein mit Mienen,
Als warst du nicht ein ewig-gruner Garten,
Vielmehr ein Schiff, so uberfullt von ihnen,
Dab sie schon langst vor Furcht und Angst erstarrten,
Als ware jetzt ihr jungster Tag erschienen,
Als hatten sie nicht Frist mehr zu erwarten,
Als mubten sie sich um den Zwieback raufen
Und sich mit Blut ihr letztes Mahl erkaufen.
Sprich, Erde, drum: hat die Ernahrung Schranken
Und die Erzeugung hatte dennoch keine?
Vergebens durfte nicht ein Halmchen ranken,
Indes entmarkt, mit schlotterndem Gebeine,
Zu Millionen schon die Menschen wanken,
Weil du fur sie kein Brot mehr hast, nur Steine?
Weit eher sollte eine Welt voll Ähren
Ja doch verfaulen, als ein Mensch entbehren!
So hatt’ ich in der Fruhlingsnacht gesprochen,
Verzweifelnd ob dem dustern Welt-Verhangnis,
Mir war der Geist gebeugt, das Herz gebrochen,
Und in der rastlos wachsenden Bedrangnis
Wagt’ ich die stumme Mutter aufzupochen
Um einen Trost in meiner Seelenbangnis.
Auch gab sie mir, die ich begehrt, die Kunde,
Jedoch in strengem Sinn, mit ernstem Munde.
Noch nie ist mir ein Kind aus Not gestorben –
Dies war ihr Spruch – denn jede war zu wenden,
Und sind auch ganze Volker schon verdorben,
Man konnte fernhin ubers Meer sie senden,
Dort hatten sie sich Heil und Gluck erworben
Und mich zugleich geschmuckt mit fleib’gen Handen,
Ich band die Baume nur an ihre Schollen,
Die Menschen nicht, weil diese wandern sollen!
Darum verklagt nicht mich, wenn ihr verschmachtet
In einem Elend, das ihr selbst geschaffen,
Weil ihr das Mittel, das ich bot, verachtet:
Fabt endlich den Entschlub, euch aufzuraffen,
Und kehrt den Pflug, wenn ihr nach Segen trachtet,
Still gegen mich, nicht gegen euch die Waffen:
Ich hatt’ und hab’ fur weit mehr Millionen
Noch Brot, als mich bewohnten und bewohnen!
Bin ich nur erst bebaut in allen Landern,
So wird euch allen auch der Tisch sich decken,
Und sollte sich’s in fernster Zukunft andern,
So habt ihr selbst die Grenze euch zu stecken,
Und die gehoren zu der Freiheit Schandern,
Die dann vor dieser schweren Pflicht erschrecken;
Ich kann mich nicht vergrobern, meinen Kindern
Ist’s nicht unmoglich, ihre Zahl zu mindern.
Zwar glaube ich nach der Natur der Dinge,
Das Gleichgewicht wird ewig fortbestehen,
Wenn’s erst errungen ist, dab dies gelinge,
Mubt ihr den Weg, den ich euch zeigte, gehen.
So dreht euch denn nicht mehr im alten Ringe,
Erweitert ihn, und alles ist geschehen:
Wenn meine Quellen nicht mehr uberflieben,
Wird wohl von selbst des Lebens Tor sich schlieben.
Doch dies wird das Jahrtausend kaum entscheiden,
Drum soll es nicht schon das Jahrhundert qualen,
Ihr braucht nicht langer, als ihr wollt, zu leiden,
Ihr habt nur neu den Weltteil euch zu wahlen,
Dann wird, was ich in meinen Eingeweiden
Bisher mit Qual verschlob, euch nicht mehr fehlen,
Und statt des Fluchs werd’ ich in vollen Choren
Zum erstenmal der Menschheit Jubel horen!
Nun schwieg sie still, ich aber rief vernichtet:
Sie hat mit uns, wir nicht mir ihr, zu rechten;
Darum zu Schiff, jedoch zum Heer verdichtet,
Nicht blob zu pflugen gilt’s, wohl auch zu fechten;
So wird der grobe Doppelzwist geschlichtet,
Denn erst, wenn wir uns ganz mit ihr verflechten,
Kann sie der Sonne auch fur ihre Strahlen
In Glanz und Duft die ganze Schuld bezahlen!
Lab aber du, o Vaterland, dich mahnen:
Vergib sie nicht, die Kinder in der Ferne;
Sie werden segeln unter deinen Fahnen,
Drum sorge du, dab man sie achten lerne,
Und ziehn sie auch von Pol zu Pol die Bahnen,
Sei du mit ihnen, wie die treuen Sterne,
Und halte jedes, voll erhabnen Trutzes,
Je ferner dir, je wurd’ger deines Schutzes!