Spazir – oder Schafer-Liedlein
1.
IN den angenehmen Auen /
komm ich / Gottes Gut zuschauen /
wann der Abend einher bricht.
wann die Schaflein bey der Tranke /
seinen Wundern ich nachdenke /
meine Lobes-Pflicht verricht.
2.
Setz mich bey dem Bachlein nider /
und betrachte hin und wider /
meines Schopffers Schaffungs-Kunst /
in der Erden Blumen-bringen:
die will mit dem Himmel ringen /
ob ertheilter Gnaden=Gunst.
3.
In dem kommet mir zu Ohren /
so beliebt und auserkohren
meiner Nachtigalle Schall;
da die Tochter in den Lufften
macht erschallen aus den Klufften;
dir sey Preib / O ewigs All.
4.
Pflegt die lange Zeit zu kurzen /
und die Einsamkeit zu wurzen /
mit der keuschen Bucher-Lust:
jedes Blat / ist mir ein Flugel /
und ein nachgelassner Zugel /
zu der sussen Himmel Brust.
5.
Lab die Schaf’ in Schatten stehen /
pfleg dieweil auf sie zu sehen:
denke dieser Hoheit nach /
die kunfftig werd besitzen /
da mein’ Ehren-Kron wird glitzen
als die Sonne tausendfach.
6.
Ob ich dieser Zeit schon habe
nichts / als meinen Hirtenstabe:
weib ich doch ein Konigreich
inner dem Saphiren-Dache /
und Demantinen Gemache /
das ich sterbend’ erbe gleich.
7.
Lebe von der Schaflein Wolle /
wunsche nichts / als was ich solle /
bin in meiner Armut reich /
und ein Konigin bey Schaafen /
kan ohn’ Angst und Sorgen schlaffen /
werd ob keinem Sturmen bleich.
8.
Gottes Lob ist all mein dichten:
alls pfleg’ ich dahin zu richten /
dab sein Name werd gepreist.
In betrachtung seiner Wunder /
leg’ ich mich: und werde munder /
dab er der noch mehr mir weist.