Das Nackte
Kalt bleibt dein Sinn, kalt bleibt dein bestes Streben,
Du gleichst dem Wurme, der verlassen wuhlt –
Begluckt nur, wer ein warmes Menschenleben
Mit seinen beiden Armen einst gefuhlt!
An dessen Herz ein ander Herz geschlagen,
An dessen Haupt ein ander Haupt gelehnt,
Der von dem Strom der Liebe fortgetragen
Zum Meere der Erfullung sich gesehnt.
Der Strom der Liebe wiegt auf blauen Wellen
Voruber dich an blumenreichem Strand;
Die Rose grubt den sturmischen Gesellen,
Ihm nickt die Rebe von der Felsenwand.
Doch weiter eilst du, bis gewalt’gen Flusses
Der Ozean vor deinen Augen blinkt,
Bis jauchzend im Orkane des Genusses
Dein Herz vernichtet in die Wogen sinkt.
Das ist die Taufe, draus ein neues Wesen
Begluckt entwandelt zu der Sonne Strahl.
Zum Liebling hat dich die Natur erlesen,
Ein ganzer Mensch warst du zum ersten Mal.
Der Augenblick, der Alles dir erschlossen,
Er ist’s, er stempelt dich sofort zum Mann;
Aus der Umarmung ist dir frisch entsprossen,
Worauf die Keuschheit tausend Jahre sann!
Der das Erhabenste zu meibeln dachte,
Dem weisen Griechen, ihm gelang es nur:
Als ihm der Nacktheit suber Zauber lachte,
Die Fulle der entschleierten Natur.
Und wie das Bild, dem Marmor losgewunden,
So strahlt der Meister auch durch alle Zeit,
Der Gottliches im Menschen nur gefunden
Und Sitte nur in reiner Sinnlichkeit.
Das oft geweint mit weinenden Madonnen,
Ein Auge, das durchflog der Dome Chor:
Es mag sich freudig auch im Glanze sonnen
Des Heitern und der Reize frischem Flor.
Was bei der Nacht geheimnisvoller Feier
Dein Gott, dein Leben und dein Liebstes war:
Lab es beseelen Meibel auch und Leier
Und sich gestalten nackt und frei und klar.
Zum Schatten wandelt es das beste Leben,
Es hat den kuhnsten Adler schon gelahmt,
Wenn sich die Kraft in ihrem vollsten Streben
Erzitternd der Naturlichkeit geschamt.
Wie die Natur in ihrer ew’gen Schone,
In edler Nacktheit schimmert nur allein,
So mogen ihre Tochter auch und Sohne
Nicht furchten, sinnlich, wie sie sind, zu sein.