Gesprach mit dem Tode
Ich:
Wer bist Du Mondesleuchtender?
Er:
Der Tod,
Den Deiner Seele dumpfer Schrei entbot;
Ich sah wie Dich der Erde Noth umdrangt,
Auf, folge mir, ich lose was Dich zwangt.
Ich:
Wohin? wohin? Dein Weg ist dunkle Nacht,
Ich liebte stets des Tages goldne Pracht.
Er:
Was weib Dein blindes Auge von dem Licht,
Das tiefrem Schob, als Sonnenglanz entbricht!
Tauch in die eigne Seele Du hinein,
Fuhlt sie nicht andren Lichtes Widerschein?
Ich:
So keimte neues Sein aus diesem Sein
Und es verfaulte nur dies morsch Gebein?
Er:
Sieh dort den Rauch, der im Gewolk verschwebt,
Weil er kein Rauch mehr, hat er ausgelebt?
Wenn das Gewolk grauregnend niederspruht,
Ist’s nicht der Rauch, vor dem das Feld erbluht?
Ich:
Was gilt die Welt mir, wenn mein Ich zerfallt!
Er:
Weh dem, der fur den Fub die Krucke halt;
Ein Traum vom Ichthum, voller Fieberpein,
Ein Kranken an dem Ich ist euer Sein.
Schlepp weiter, weiter Dein armsel’ges Ich
Und Holle wird die Ewigkeit fur Dich.
Das Ich ist eurer Sunden Quell allein;
Was in euch flach, was ekel, was gemein,
Das Ich gebiert es; eurem Ich zu lieb
Verhurt ihr eures Geistes Gottestrieb,
Verhurt den Leib und kriecht in Koth und Staub
Und steht wie Tiger uber einem Raub
Euch lauernd gegenuber, jeder wagt,
Wie er den andren ruckwarts niederschlagt.
Und dennoch scheidet edel und gemein
Und bos und gut ihr, scheidet grob und klein –
Ich:
Das Grobe ist die Liebe, die uns eint,
Das Mitleid, das den Weinenden beweint,
Der Glaube, dab kein ander Wirken lebt,
Als Treue, die im Dienst der Menschheit strebt –
Er:
Das ist das Grobe, ihr verhehlt’s euch nicht,
Das ist es, was den Bann des Ichs durchbricht.
Ich:
Dein Wort wuhlt wie mit Flammen durch mein Herz,
Sag’, was mich rettet von des Daseins Schmerz.
Er:
Blick auf zu mir und frage; was Du siehst,
Verkundet Dir, wie Du dem Ich entfliehst.
Ich:
Was deutet dieser Stern Dir uberm Haupt?
Er:
Selig der Mann, deb Sinne nie bestaubt.
Ich:
Und was der Tropfen Bluts auf Deiner Brust?
Er:
Selig, wem Wunden schlug der Erde Lust.
Ich:
Und was der Schein, der kranzend Dich umwebt?
Er:
Selig, wer lebend stirbt und sterbend lebt.
Ich:
So ist das Leben Tod, Du aber bist
Der Keim, in dem des Lebens Fulle ist.
Er:
Ich war’s, der beim Gekreuzigten einst stand,
Der ihn mit Gott, dem Kern des Alls verband,
Die Liebe hatte aufgezehrt sein Ich,
Drum verschmolz mit Gott sein Ewiges sich.
Ich wurgte den, der Alexander hieb,
Ich war’s, der ihn vom goldnen Prunkbett stieb,
Weil er sein Ich nicht sattigen konnte hier,
Gab ich ihm neues Ichthum, neue Gier.
Ich:
Und ich und ich! Die Hande streckt’ ich aus
Nach Dir, zu fuhren mich ins Nichts hinaus,
Eh ich Dich kannte; ach ich wollte fliehn,
Eh mir im Kampf des Lebens Sieg verliehn,
Eh ich dies Ich getodtet oder mich
Zu neuem Kampf und Sein verdammt das Ich.
Doch jetzt erkenn’ ich klar und fuhl’ es tief,
Ich bliebe krank und wenn ich ewig schlief’,
Gesunden mub ich von des Ichthums Noth,
Zum Leben zu gesunden durch den Tod.
Er:
Was zauderst Du? Blab wird Dein Angesicht,
Die grobe Stunde flieh’ sie langer nicht,
Wirf ab den Leib!
Ich:
Nein, hebe nicht Dein Schwert,
Lab von mir Tod, noch bin ich Dein nicht werth.