Die Erdbeerfrau
“A loadi’s Erdbeer-Jahr, naturli, gel’?
Am Benno-Tag, der Frost, der hat’s dawischt!” –
sprach sie mich an und lachelte dazu
mit welkem Mund und wasserblauen Augen,
so harmlos wie ein Kind, die durre Alte.
“Recht schlimm fur uns, und schlimmer noch fur Euch,”
erwidert’ ich, “Ihr kommt um den Verdienst,
den besten wohl im Sommer.”
“Ich? No wiss’ns,
geit’s ihrer weni, wern’s halt besser zahlt
die Erdbeer, gar die schoni, aus’m G’stoan,
wie ebba selli da!”
Sie ruckt hinweg
den Deckel ihres Korbs, und drinnen lagen
auf Tannenreislein und auf frischen Blattern
Erdbeeren, duftend und so purpurrot,
dab schon ihr Anblick eine Labung war.
Der Alten bot er wahren Hochgenub:
“Die wachs’n auf’n Stauf’n, in die Schlucht’n,”
sagt sie und hebt voll Finderstolz ihr Korbchen.
Ich hatte seinen Inhalt gern erworben;
er war verkauft. Vom Berge kam die Frau
nach langem Tagewerk, war hungrig jetzt,
ein wenig mud’ und sehnte sich nach Hause.
“Es warten Eurer,” meint’ ich, “Eure Kinder
und kleine Enkel dort.”
“Auf mi’ wart koa’s,
i bin alloa,” gab sie zerstreut zuruck,
und mit der Rechten ihre Augen deckend,
blickt’ in die Sonne sie, die goldig flutend
soeben hinter Bergeshoh’n versank.
“Da schaug’ns hin, zum Zwisl schaug’ns hin,
da bin i morg’n um die Zeit scho g’west.
Gon Ab’nd hoabt’s zur Alm no auffikrabin,
im Heubuh drob’n schlaft ma woltern guat,
und fruh um zwoa geht’s ani scho’ in d’ Staud’n.”
Und wieder lag auf ihrem greisen Antlitz
das Kinderlacheln, das mich gleich bezwang,
als sie nun sprach von ihren Wanderungen
im Morgendammer und beim Sonnenaufgang,
durch Waldesdunkel, durch das Felsgekluft,
und drob so Mudigkeit vergab wie Hunger.
Ein Jager nur erzahlt mit solcher Freude
von seinen Abenteuern auf der Pirsch,
wie von den ihren sie “beim Erber’-Brocken”.
Mit stillem Neide horcht’ ich. Aus der Not
nicht eine Tugend nur, auch Gluck zu machen,
das ist die allerhochste Lebenskunst.
Ihr freilich mag sie leicht geworden sein,
der schlichten, alten Freundin der Natur,
in diesem Dasein, halb im Traum gefuhrt,
dem Kampf der Welt entruckt, von Leiden frei.
“G’sund bin i, Gott sei Dank!” schlob sie vergnugt
und zwinkert’ nach den glutumsaumten Bergen
voll Liebe hin, “und hon aa’ koani Sorg’n.”
“Im Sommer, doch wie sieht’s im Winter aus?”
“Mit Gottes Gnad’, an diem,, a bissel wiescht,
ma hofft halt immer, dab bal’ Fruhling wird.
An Oaschicks bringt ihm scho’ so kloanweis furt.”
“Das ist der Trost der Einsamen,” sagt ich,
“Wie Ihr es seid und wohl von jeher war’t?”
Gutmutig, heit’ren Spotts zuckt sie die Achseln
ob meines Irrtums. “Na, von jeher nit,
i hon amal a schon’s A’wes’n g’heit,
an braven Mo’, funf Kinder – ja amal!”
“Funf Kinder? Hab’ und Gut? Und steht allein
und arm jetzt in der Welt?… Wie ging das zu?”
“No, schiefri ebba. ‘s Ungluck hat uns hoamg’sucht,
verbrunnen san mer aa’,” gab sie zur Antwort
und schien zu denken: “Ei, was kummert’s dich?”
Doch mahlich eines Bessern sich besinnend,
hob, leise seufzend, sie von neuem an:
“Vor dreizehn Jahren, – warten’s – na, vor achtzehn,
ja wirkli, achtzehn – wie die Zeit vergeht!
da is bei uns das grobi Feuer g’west.
In d’ Tenna ei’gschlag’n hat der Blitz von Himmi –
und voll mit Troad wie’s war, so is verbrunnen,
und aa der Mo’, sex Kuh’, zwoa Kinder, all’s
verbrunna.”
“Wie? Verbrannt?!”
“Ja, ja, verbrennt.
Mi selba hat der Nachbar no am Zopf,
der damal armsdick war – wer mocht’ dees glaub’n? –
herauszerrt aus die licht’rloh’n Flammen.
Die Gloabiger hon si’ den Grund biholten,
und wiar i gang’n, wiar i g’stand’n bin,
so bin i von der Brandg’statt weiterzog’n.”
“Mit Euren Kindern?”
“Jo, mit denen drei,
die ubri blieb’n san, zwoa Diendln und
an kloan’n Bueb’n,” entgegnet sie gelassen.
“Und dann? Wie habt Ihr dann Euch fortgeholfen?”
Sie hob den Kopf empor: “No, ehrli halt.
Viel g’arbeit, viel, und aa’ a bib’l bet’,
a bib’l nur, denn damaln, wissen’s Frau,
da war i bos mit unsern lieben Herrgott,
und bin’s aa’ blieben no a lange Weil’,
denn oans vo meini Diendln is schlecht g’rat’n
und leit da draub’n v o r der Kirchhofmauer,
i mach en Umweg, mueb i dort vorbi.”
“Die Zweite aber? – Die?”
“Die hat an Bauern,
in Hammerau, an reich’n, is versorgt.”
“Und sorgt fur ihre Mutter, will ich hoffen.”
“Fur mi? Was denken’s denn? Sie hat den Mo’,
hat ihm ins Haus koan roti Heller bracht
und wird aa’ koanen ‘naustrag’n – dees hoff’ i!”
“Und euer Sohn?”
“Seidat war’r, Schandarm…
i sag, er war, jetzunder is er tot,
erschoss’n von die Pascher an der Grenz’.
In letzten Hirgscht hon i die Nachricht kriegt.”
Sie sprach es langsam, leise, unbewegt,
sann noch ein Weilchen; wie ein Lichtstrahl flog’s
erhellend freudig uber ihr Gesicht.
“Der is mit mir gar oft in d’ Erdbeer’ ganga,
wier a Bua no wa und spater aa’,
der hat die Berg so guot gekennt, wiar i.”
Sie blickte in die Weite, ganz verklart
vom sanften Gluck des lieblichsten Erinnerns
und wandt’ zum Gehen sich mit kurzen Grub.
Da plotzlich hielt sie an. Die lichten Augen
erglanzten wild und stoben Zornesfunken.
An uns vorbeigeschritten kam ein Knabe,
der in der Hand ein Schuss’lein voll mit Beeren,
armsel’gen, halbgereiften, trug. – “Du Lump,”
rief ihm die Alte zu, “kannst’s nit derwart’n,
dab d’ Erber’ rot wer’n, muabt di greani rupf’n?”
Mit hocherhobner Faust bedroht sie ihn,
und ein gewaltig Fluchwort flog ihm nach,
als schleunig er und still die Flucht ergriff.
Dann aber ganz erregt vor Schmerz und Grimm
sprach sie: “Dees is mei’ allerirgster Kumma,
wenn’s d’ Erber’ brock’n u’reif und kloanleizi,
ma mirkt’s ja deutli, ‘s tuat der Pflanzen weh.
Sie wehrt sie drum, was sie nur ko’, die Armi,
just wier a Mutta um ihr liebis Kind,
do’ wenn die Frucht recht zeiti wor’n is,
geits ‘s geduldi her; no jo, sie hat
das ihre redli’ to’, und denkt ihm halt:
Jetz’ werst der endli aa dein Frieden gunna.”
Da stockte sie und sah mich fragend an,
besturzt beinah ob dieser Worte Sinn,
der dammernd nur ihr zu Bewubtsein kam.
“Wo wohnen’s?” sprach sie hastig. “In Sankt Zeno.”
“Da kimm i lei’ an nachst’n Sunnta hin,
und Erber’ bring ich Ihna, solchi haben’s
no niemal koana gsegn. Bfut’ Ihna Gott!” woltern: besonders, durchaus.